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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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Tatsache, dass er nun nicht mehr überall dort einen Termin bekommt, wo er einen haben möchte. Manchmal nicht mal bei Leuten, die ihm als Bürgermeister stets nahestanden. Er nimmt es ungerührt, auch wenn es ihn an der einen oder anderen Stelle überrascht. Aber es gibt ja auch die entgegengesetzten Erfahrungen.
    Ob ihm denn etwas fehlt in seinem scheinbar so wohlig eingerichteten neuen Leben? Erst mal fällt ihm ein, worüber er erleichtert ist. Er muss keine anstrengenden TV-Interviews mehr führen. Danach wurde er nämlich immer rot. Es hat ihn genervt, dass die Gesichtsfarbe immer noch Stunden später die Anstrengung verriet, die bei seinen zumeist makellosen Auftritten nicht erkennbar wurde. Aber vermissen, nein er vermisst eigentlich nichts. Wenn er sich etwas wünschen könnte, dann würde er ganz gern mal wieder ein Glas Wein mit Angela Merkel trinken: »Es ist so lustig mit ihr.« Und sie parodiere mindestens so gut wie er selbst.

    Die Freundschaft zwischen Ole von Beust und Roland Koch mag ob der Unterschiedlichkeit der beiden auf den ersten Blick erstaunen. Wenn man genauer hinschaut, offenbaren sich jedoch mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen. Beide sind politisch sozialisiert, haben frühzeitig belastbare Allianzen geschmiedet, ihre Landesfraktion dominiert und personifiziert. Und beide sind zurückgetreten, als die Götterdämmerung über Hessen und Hamburg gekommen war. Bereit, sich neu zu orientieren, schmerzlos und vorwärtsgewandt.
    Politiker sind heute nicht mehr zwangsläufig Ideologen, Überzeugungstäter und notorische Weltverbesserer, sondern auch karriereorientierte Manager. Häufig Mandatsträger auf Zeit, immer die passende Gelegenheit zum Umstieg im Blick. Die konventionelle Politikerlaufbahn, die eine etablierte Berufstätigkeit vor oder neben der Übernahme politischer Ämter vorsah und diese dann bis zum Renteneintritt verteidigte, kehrt sich heute um. Politik ist die Bühne zur Bewerbung für lukrative Angebote aus der Wirtschaft.
    »Ich wusste immer, dass es spannendere ökonomische Optionen gibt, als Politiker zu sein«, sagt Roland Koch vergnügt, mit Blick auf seine erhebliche Gehaltssteigerung. Roland Koch und Ole von Beust sind ausreichend anerkannt und schillernd, um den Übergang komfortabel zu gestalten. Und distanziert genug, um loszulassen. Das gelingt längst nicht allen.

    Bei der Beschäftigung mit Biographien, die mich besonders interessierten und auf deren Verlauf ich aus unterschiedlichen Gründen allzu gern einen eigenen Blick richten mochte, habe ich oft an Andrea Ypsilanti gedacht. Die Gnadenlosigkeit, mit der die designierte hessische Ministerpräsidentin 2008 für ihren unstrittigen Fehler im Wahlkampf und die unglückseligen Versuche der Regierungsbildung verurteilt und später vom bedeutungspolitischen Hof gejagt wurde, ist in der Einordnung machtstrategischer Falschaussagen, moralischer Indignation und tugendfreiem Verhalten auch im Zeitverlauf nicht erklärbar.
    Welche Instanz bewertet die Zumutbarkeit politischen Lavierens und wer gewichtet die Dimension der Verfehlung? Ist die Zurücknahme eines wahlentscheidungsbedingenden Versprechens, die Falschaussage zur Rechtfertigung der eigenen Handlungsverantwortung oder gar die Koalition mit Unwürdigen ein verzeihbareres Delikt als der Widerruf einer Koalitionsaussage? Wann wird eine nachträglich korrigierte Überzeugung zur Lüge? Und welche Faktoren entfachen eine mediale Wucht wie die im Fall von Andrea Ypsilanti? Was bedingt den totalen Verlust der Verhältnismäßigkeit in der Verurteilung?

    Die strauchelnden Hin- und Herbewegungen, zahlreiche Mails und Briefe, die vor der grundsätzlichen Bereitschaft zum Gespräch ausgetauscht wurden, machten schon im Vorfeld deutlich, dass es keine einfache Begegnung sein würde. Andrea Ypsilanti ist verletzt.
    Nach einem ausführlichen Telefonat zu mir und meinem Gesprächsanliegen verabreden wir uns zu einem weiteren Vorgespräch. Wir treffen uns im Wiesbadener Regierungssitz, am Rande einer Landtagssitzung, an der sie als Abgeordnete für gewöhnlich teilnimmt. Heute unterbricht sie ihre Aufmerksamkeit für eine Stunde oder zwei. Die erste Schwierigkeit besteht darin, einen Ort zu finden, der ein bisschen Ruhe bietet vor der Beschallung aus dem Plenarsaal. Andrea Ypsilanti ist hier zu Hause, vertraut wirkt sie mit der Umgebung nicht. Oder nicht mehr. Den Platz wechseln wir mehrfach, weil der Elan der Diskutanten aus dem Plenum massiv in unsere Unterhaltung dringt.

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