Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
einer beherzten Kritik an seiner Sozialreform spöttisch als Unruhestifterin abgetan. »Es gab hundert Gründe, warum ich es nicht können sollte«, erinnert sich Andrea Ypsilanti an die despektierlichen Reaktionen auf ihre Nominierung. »Sie kann nicht führen, kann nicht reden, ist nicht intellektuell genug. Das war belastend.«
Aber sie hat sich reingekämpft, hat es geschafft, den Bürgern eine Alternative anzubieten und immer mehr Menschen mit ihrem Mantra der sozialeren Sozialdemokratie und mit konkreten Standpunkten, nicht nur zur Bildungs- und Energiepolitik, überzeugt. Die Stimmung schlug um, irgendwann im Dezember 2007. Die Umfragen fielen plötzlich zu ihren Gunsten aus, auch ihre Sympathiewerte lagen deutlich vor denen Roland Kochs. Da geriet die Partei aus dem Häuschen und in ein hitziges Wahlkampffieber. »Alles war toll, alles lief von allein, ich musste gar nichts mehr machen, auf einmal steigerte sich die Begeisterung von Veranstaltung zu Veranstaltung«, huldigt sie mit trotziger Betonung der Superlative der beflügelndsten Phase ihrer Kandidatur. Sie war vom verschmähten Entlein zur Prinzessin geworden, das »Y« zum Markenzeichen nahbarer Sozialpolitik, getragen nun auch von den politischen Kommentatoren der wichtigsten Zeitungen und einstimmig wohlmeinenden Überschriften.
Doch auch im Rausch der Mehrzweckhallen-Euphorie spürte die Kandidatin die Last der Verantwortung, die Anstrengung im Ringen um Anerkennung. Zu Hause war sie meist tief erschöpft, ihr Körper oft noch am Morgen müde, während der Kopf schon wieder um Argumente und deren Vermittelbarkeit kreiste. Heute tut es ihr leid, dass sie sich keinen Raum geschaffen hat für den Genuss der Erfolge. Dem Glücksgefühl, für ihre Idee von einem gesellschaftlichen Wandel viele Anhänger gewonnen zu haben. Ohne polternde Diktion, diese »Ich sage, wo es langgeht«-Attitüde. »Ohne in jedem Zelt in der ersten Reihe zu stehen und Kumpeleien beim sechsten Bier«, sondern auf ihre Weise. Führungsstärke ist für sie nicht vor allem das Ausspielen von Autorität. Ihre Sitzungen hatten Struktur und vor allem ein Ende. »Es war immer wieder ein Streitpunkt, dass ich die Tresenpolitik nach Feierabend nicht mitgemacht habe. Aber ich hatte ein Kind zu Hause und oft war ich einfach nur müde.« Ob sie einen stärkeren Rückhalt gehabt hätte, wenn sie sich diesen informellen Zirkeln nicht entzogen hätte? Sie zieht die Schultern nach oben und schaut ein bisschen angewidert. »Vielleicht«, sagt sie zögerlich, aber das sei müßig, diesen Preis habe sie ohnehin niemals zahlen wollen.
Es sind diese Anflüge von Trotzigkeit, die es manchem schwermachen, Andrea Ypsilanti sympathisch zu finden. Die Verhärtung ihrer Stimmlage, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlt, die Schärfe in der Rückfrage, wenn sie sich unverstanden wähnt. Daran hat sich auch jetzt nichts geändert, drei Jahre nach ihrem Rücktritt, da sie wieder Bühnen betritt. Zaghaft, immer auf der Hut, in Erwartung des nächsten Foulspiels. Noch immer versuchen TV-Moderatoren, sich mit inszenierter Schärfe zu profilieren und ihr den reuevollen Kniefall abzuringen.
Sie will viel lieber über die Zukunft sprechen, über die Lage des Landes und die ganz konkreten Nöte der Menschen. Sie sorgt sich um die Perspektive ihrer Partei, die so vielen, die so denken wie sie, immer weniger eine Heimat bietet. Aber sie hängt auch an ihrer SPD, für die sie seit ihrer Studienzeit Gedankengut und Herzblut gibt. Weil sie Ideologin ist, auch wenn sich das nicht immer vermitteln lässt. Sie sei eine von denen, kommt sie mir in der Beschreibung ihrer Beziehung zu ihrer Partei mit Fußballtermini entgegen, »die immer wieder eine Dauerkarte kaufen, auch wenn der Verein schon lange keine Meisterschaft mehr gewonnen hat«. Sie ist Fan des 1. FC Nürnberg, dem traditionsreichen Club mit vielen Titeln und beinahe so vielen Abstiegen, also Leid gewohnt. Aber die anstehende Entscheidung über den nächsten Trainer, der tatsächlich Kanzler werden kann, die könnte sie nun wirklich dauerhaft vergrätzen mit ihrem Lieblingsverein, der SPD. Sie hat Sorge, dass es der Falsche sein wird.
Dennoch hat sie entschieden, 2013 wieder für den Bundestag zu kandidieren. Jeder in der Mannschaft hat seinen Beitrag zu leisten. Auch wenn die Taktik derzeit andere bestimmen. Aber Kollegen beobachten, dass sie sich plötzlich wieder in Diskussionen einbringt, sich zu Wort meldet, man könne eine Wandlung
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