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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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Unterwegs werden wir von interessierten Blicken begleitet, die ehemalige SPD-Landeschefin ist auch mehr als zwei Jahre nach ihrem Rücktritt keine »einfache Abgeordnete«. Vielleicht ist die Chance, eine von vielen zu sein oder gleiche unter gleichen, auch für immer verwirkt, seit »dem Ereignis«. Nachdem wir einen passenden Raum gefunden haben, was sich eher wie ein Eindringen als ein Ankommen anfühlt, erzählt Andrea Ypsilanti verblüffend offen von den vergangenen Jahren, die sie und ihr Bild geprägt haben. Sie ist freundlich, lacht viel und hört sehr genau zu. Am Ende wird sie bereit sein, ausführlich und »ganz offiziell« mit mir zu sprechen. Ihre Vorsicht bleibt dennoch in jedem Moment spürbar. Die beispiellose Unbarmherzigkeit der Schmähungen haben Spuren hinterlassen, aber ihre Hoffnung auf einen neuen, neutralen Blick ist stärker als ihre Verletztheit. Neutralität ist dabei meine Aufgabe. Die Aufrichtigkeit, mit der Andrea Ypsilanti mir und ihrer Geschichte begegnet, nimmt mich auf eine Weise für sie ein.
    Wie bei vielen anderen Frauen, die Gesprächspartnerinnen für dieses Buch gewesen sind, ist die Reflexion der eigenen Rolle, die Auseinandersetzung mit den Fehlern und deren Auswirkungen ein wesentlicher Bestandteil der Unterhaltung. Es mag klischeehaft sein, die emotionale Gesprächsebene zu beschreiben, die Frauen bei ihrer inneren Revision so zwangsläufig betreten. Die männlichen Muster sind im Gegensatz dazu vor allem Analyse und Konstruktivismus. Nicht nur in der Bereitschaft, den Vorhang zu lüften und einen Einblick in die Bewältigung der Zäsur und ihrer Facetten zu gewähren.
    Die Gestaltung des Bildes beginnt schon beim Ausstieg, der in seiner mannhaften Erscheinung Kraft und Unverletzbarkeit vermitteln soll. Untermalt bestenfalls von der neuen Aufgabe, das untrügliche Zeichen der Unverzichtbarkeit. Der nahtlose Übergang dient Männern oft als beste Form der Verarbeitung des Scheiterns. Das neue, weiße Schulheft vergisst den Rotstift im Vergangenen.

    Andrea Ypsilanti hat sich lange beschäftigt mit den Ereignissen des Jahres 2008 und vor allem mit »dem Ereignis«. Und sie tut es noch. Sie hat »tausend Gespräche« geführt, herauszuarbeiten versucht, was falsch gelaufen ist, welches ihr Anteil gewesen ist und warum sie von ihrem Bauchgefühl verlassen wurde, ihrem bis dahin verlässlichsten Partner. Sie hat die Geschehnisse aufgearbeitet, bis zu den quälenden Details, nach fehlenden Teilen dieses vielschichtigen Puzzlespiels gesucht. Und dabei immer wieder in den alten Schulheften geblättert.
    Das nächste Treffen findet in ihrem Büro statt, das so winzig ist, dass es von dem großen »Y« auf ihrer Stuhllehne spielend leicht dominiert wird. Für einen kleinen Besprechungstisch ist noch Platz und für ein Bild an der Wand. »Die Zeit ist reif« steht darauf. Das hat eine Freundin für sie gemalt und ihr zur Ermunterung im Wahlkampf geschenkt.
    Die Zeit ist reif, daran hat sie wie viele andere Menschen in ihrer Partei und in ihrem Land Hessen fest geglaubt, der raubeinigen Landesführung von Roland Koch einen neuen Politikstil entgegenzusetzen.
    Sie hat sich nicht darum gerissen, als Spitzenkandidatin gegen den Politikhaudegen in den Wahlkampf zu ziehen, diese Rolle war eigentlich für einen anderen vorgesehen. Der hat gekniffen, sie hat lange nachgedacht und dann gesagt: »Ich mach’s«. »Es war nicht mein Traum, Spitzenkandidatin zu werden, eher Zufall«, erklärt sie ihr Zögern vor dem parteiinternen Aufstieg. Skrupelloser Machtanspruch, wie man ihr spä- ter in noch viel unflätigeren Wortschöpfungen immer wieder unterstellte, sieht anders aus. Aber Ministerpräsidentin, das wollte sie dann doch unbedingt werden. Für die Menschen in Hessen, für ihre Partei und wegen Roland Koch. Auch für sie selbst? Sie verneint: »Es ging nicht um mich, es ging darum, unsere Programmatik durchzubringen, etwas zu gestalten.« Und: »Ich bin überzeugt, Hessen wäre heute ein besseres Land.«
    Wenn sie solche Sachen sagt, hebt sie ihre Stimme am Satzende, als müsse sie bergauf sprechen, so wie sie von Beginn ihrer Kandidatur an bergauf gearbeitet hat. Die anfängliche Skepsis war groß, kaum ein Beobachter dieses grobkontrastierten Politschauspiels räumte ihr Chancen ein gegen den ungeliebten, aber machtvollen Amtsinhaber. Eine junge Frau aus einer Rüsselsheimer Arbeitersiedlung, strategisch unversiert, mit einer ausladenden Frankfurter Klangfärbung. Dazu vom Kanzler nach

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