Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
erspart. Aber sie freut sich auch daran, mal wieder Raum zu haben, Gedanken zuzulassen, wohin es gehen soll mit ihrer Partei und dem ganzen Land. Lösungen zu entwickeln mit Menschen, für die sie immer noch Hoffnungsträgerin ist. Davon gibt es nach wie vor viele.
Manchmal, sagt sie, wünscht sie sich ein ganz anderes Leben, und spätestens jetzt verursacht die offensichtliche Zerbrechlichkeit ein beklommenes Mitgefühl. Aber so weit ist sie noch nicht. Sie ist eben Politikerin. Und sie hat so viele Ideen.
Dass Roland Koch es anders gemacht hat, quittiert Andrea Ypsilanti mit glaubwürdiger Gleichgültigkeit. Das sei sein Weg. Ihr fiele dazu sicher einiges ein, aber sie lässt es bleiben. Überhaupt spricht sie ganz selten über ihren Widersacher, dessen Namen nennt sie in unseren Gesprächen nur ein einziges Mal. Er ist viel weniger ein Hauptakteur in ihrer Geschichte als sie in seiner und womöglich hat sie mit ihm tatsächlich ihren Frieden gemacht.
Mit den vier Gegnern aus ihren eigenen Reihen hingegen kann sie keinen Frieden finden, deren Namen bleiben gänzlich unerwähnt. So als sei die Intrige eine erträglichere Gestalt, wenn sie keine Gesichter bekommt. Verzeihen kann sie »den Verrätern« nicht. Vielleicht wird es ihr erst gelingen, wenn sie sich selbst verziehen hat. Wenn sie die Scham verliert, die sie noch heute hemmt im freien Umgang mit manchen Menschen. Und wenn sie eine Erklärung findet für die Härte der Beurteilung oder diese irgendwann sogar fernhalten kann, von sich und ihrer Persönlichkeit.
Der Anstand verlangt, denjenigen, die gescheitert sind, die Hand zu reichen. Die hörbare Volksstimme wendet sich nach dem Sturz dem Gestürzten zu, gleich wie vehement die Kritik zuvor gewesen ist. Der Fall lässt die Kritiker zumeist verstummen. Nach der Zäsur bleiben die Tröstenden, die Verständnisvollen. Der Gefallene kehrt in die Gemeinschaft zurück. »Die sind auch nur Menschen«, ist die Parole der wohltuenden Egalität. Jeder einzelne Gesprächspartner berichtet von nahezu ausschließlich positiver Resonanz im direkten Kontakt mit Menschen.
Auch bei Andrea Ypsilanti ist es so. Gerade wurde sie wieder angesprochen, bei einem Spaziergang mit der Freundin. Eine Frau hielt sie an, um ihr zu sagen, dass jemand wie sie fehle in der hessischen Politik und dass es widerlich sei, wie mit ihr umgegangen wurde. Natürlich ist so etwas nett, weil es zeigt, »dass ich nicht alles falsch gemacht habe«, aber die Allgegenwärtigkeit ihrer Geschichte, die permanente Konfrontation mit dem Makel, ist ihr vor allem eine Last. Aufhören, in den Gesichtern der Menschen zu interpretieren, nach Normalität zu suchen, wird sie wohl erst, wenn sie den Weg findet, sich selbst aus der Verantwortung zu entlassen.
Auch wenn das Misstrauen womöglich trotzdem bleibt, weil Menschen, die einen solchen Loyalitätsbruch erleben, eine so gnadenlose Verurteilung nicht nur ihres Handelns, sondern vor allem ihrer Persönlichkeit, die Unvoreingenommenheit verlieren, unwiederbringlich.
Roland Koch hat diese Sorgen nicht, er ist in Einklang mit sich, mit seinem facettenreichen Politikerleben, den berüchtigten Machterhaltungsstrategien und vor allem mit seinem Leben danach. In den Gesichtern der Menschen interpretiert er nicht, auch wenn er weiß, dass beinahe jeder eine Meinung zu ihm hat. Auch bei seiner neuen Vorstandsaufgabe hat er sofort gemerkt, dass so mancher in Sorge war wegen des medial gemeißelten Bildes. Aber da er nun nicht mehr so oft im Fernsehen zu sehen ist, glaubt er fest daran, dass die Menschen ihn so erleben, wie er wirklich ist.
Zu Misstrauen, gibt er mir bei der Verabschiedung mit auf den Weg, sei er sowieso nicht fähig. Er sagt das im Vertrauen auf eine sorgfältige Verwendung dessen, was in unserer Begegnung besprochen wurde, und erteilt mir die »Carte blanche« zur Nutzung all seiner Aussagen. Später wird es ihm doch lieber sein, seine Zitate noch einmal zu autorisieren.
Roland Koch polarisiert nach wie vor, die inhaltlichen Erinnerungsmonumente seiner Karriere sind vor allem seine Patzer. Dennoch genießt er Achtung für seine Gesamtleistung, kommt ihm wie vielen selbstbestimmt Ausgeschiedenen die retrospektive Verklärung zugute. Er hat eine Lücke gelassen, auch in der Lautstärke. Solange diese Leerstelle ungefüllt bleibt, wird er weiterhin von manchen in seiner Bedeutung mystifiziert. Dessen ist er sich bewusst und damit lebt er gut. Zurückzukehren ist dennoch ausgeschlossen für ihn.
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