Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
weil die Luftfahrt immer schon seine Passion gewesen ist. Als kleiner Junge wollte er Pilot werden, das hat aber nicht geklappt. Also hat er Leichtmetallbau studiert und »nebenbei an Flugzeugen geschraubt«. Da beginnen seine Augen zu leuchten, und er verliert sich für einen Moment in den ölverschmierten Details: »Ich bin mit meinem ganzen Herzen ein Flieger. Irgendwann kannten meine Kumpels und ich jedes einzelne Flugzeugteil beim Namen, diese Zeit habe ich geliebt.« Schnell fokussiert er sich wieder auf die Fragestellung. Dass sich nun ein Kreis schließt, das sei nun auf eine Weise so, aber für solch nostalgische Verklärungen hat er eigentlich keine Zeit. Die Luftfahrtbranche insgesamt ist in einer bedrohlichen Krise und sein Unternehmen mächtig in der Bredouille. Da ist Tatkraft gefragt. Mit Sentimentalitäten hält er sich auch im weiteren Gespräch nicht auf. Wenn ihm doch mal eine Gefühlsregung herausrutscht, bemüht er sich prompt, sie preußisch zu relativieren. Management ist für ihn Pflichterfüllung, die Aufgabe steht über allem.
So war es auch eine Selbstverständlichkeit zuzusagen, als Gerhard Schröder ihn an einem Morgen anrief und er bis zum Nachmittag entscheiden sollte, ob er nun Bahn-Chef sein will. Er hat kurz seine Frau gefragt, sie hat ihn unterstützt, ohne zu zögern gesagt: »Ich ziehe mit.« Wie immer, wenn seine siebenundzwanzigjährige Luftfahrtslaufbahn Ortswechsel oder Lebensveränderungen erfordert hatte. Am Abend ist er dann mal »ins Internet gegangen«, um nachzulesen, was die Bahn überhaupt für ein Laden ist. Bis dahin ist er ja nur mitgefahren. Faszination oder gar Stolz mag er nicht empfunden haben, als er als Wunschkandidat des Kanzlers den größten Reformauftrag des Landes erteilt bekam.
Bis er wirklich verstanden hat, »was die Bahn tatsächlich ist« und wie groß seine Verantwortung, hat es einige Zeit gedauert. Das Ausmaß der Herausforderung war ebenso wie das plötzliche Interesse an seiner Person außerhalb seiner Vorstellungskraft. Er nennt es »out of horizon«. Überhaupt benutzt er viele englische Formulierungen und Redewendungen. »world-wide« ist sein Lieblingswort. Da ist es beinahe zwangsläufig, als Chef eines deutschen Gemeingutes immer mal an Grenzen zu stoßen.
Apropos Sprache: Die englischen Ansagen in den Zügen, auch so ein Missverständnis, das ihm immer wieder unterkommt und das die Geschwindigkeit des Kniewippens besorgniserregend beschleunigt. Mit der ebenso angestrengten wie unterhaltsamen Vielsprachigkeit der Zugbegleiter hat die Bahn für Spott, Karikaturen und sogar Buchtitel gesorgt. Mindestens einer kann darüber nicht lachen. Zur Fußball-WM 2006 wollte sich die Bahn, wie das ganze Land, gastfreundlich und serviceorientiert zeigen. Viele Mitarbeiter nahmen das Angebot an, in ihrer Freizeit Englischkurse zu besuchen, allesamt vom Arbeitgeber bezahlt, aber freiwillig, als Willkommensgruß für die Millionen internationalen Fußballfans, die für einige Wochen durch das Land reisten. Bei solch guter Absicht und so viel Engagement, was macht es da schon, wenn mal ein »th« verrutscht oder der Name des nächsten Bahnhofes zur Unkenntlichkeit geradebrecht wird. So ist es wohl, seufzt er und müht sich um Gleichmut in Anbetracht der gewohnten Verkennung. Bei einem emotionalen Thema wie der Bahn ist kein Lob und schon gar keine Dankbarkeit zu erwarten.
Sein Englisch ist natürlich exzellent. Überhaupt ist Hartmut Mehdorn ein glänzender Erzähler. Vor allem, wenn er sich in Rage redet, was trotz aller Professionalität immer wieder passiert, produziert er vielsagende Bilder und kraftvolle Wortschöpfungen. Ich ahne, er hat die meisten davon schon oft benutzt. Und dass er sich häufig in Rage redet.
Wenn es allerdings um sein Image geht, dann wird er erst mal ganz ruhig. Er hatte noch nie irgendwelche Berater, die ihm sagen, wie er sich am besten in Szene setzt. Es liege ihm nichts an einem Image, er sei Manager, kein »Industrieschauspieler«. Und er sagt das so, dass man es ihm glaubt. »Ich bekomme ein Gehalt und dafür erwartet man von mir eine Arbeitsleistung und Ergebnisse, kein positives Image«, formuliert er seine durchaus umstrittene Managementphilosophie. »Wenn man mir zehn Euro mehr gibt und sagt, dafür wollen wir jetzt auch noch ein positives Image, dann sage ich: Gut, ich schaue mal, was für zehn Euro machbar ist.« Bisher hat es niemand von ihm gefordert. Er ist froh darüber.
Er hatte den Auftrag der
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