Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
Vom Netzwerk:
Bundesregierung, die Bundesbahn auf die umfassendste Weise ihrer Geschichte umzubauen. Die Staatsbetriebe Lufthansa, Bahn und Post sollten in marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen verwandelt werden. Die Lufthansa wurde zuerst privatisiert und ist heute Airline Nummer eins »world-wide«. Die Telekom, die aus der Bundespost herausgelöst wurde, die Post und die Bahn sollten folgen. Modernisierung, Serviceorientierung, Positionierung am Kapitalmarkt und vor allem Profitabilität, das waren die Ziele, mit denen die Manager losgeschickt wurden. Während das Wachstum der Lufthansa beinahe unbemerkt vonstatten ging, stand die Entwicklung der Bahn und der Telekom als Hüter der Volksbefindlichkeiten permanent im Blickpunkt des öffentlichen Interesses.
    Reform bedingt vor allem Einschnitte, insbesondere dann, wenn man ein Defizit von 1,5 Milliarden Euro und große Ziele vor sich herträgt. Hartmut Mehdorn gab seinen Einstand mit umfangreichen »Cost-cut-Programmen« und unabdingbarem Personalabbau. Keine Situation, um zum Liebling der Gewerkschaften und der Medien zu werden. Wenn er den Bahn-Chef Mehdorn beschreiben soll, wird er immer wieder sagen, dass er ein Mann der Arbeitnehmer war und ist, einer der sich seinen Mitarbeitern verpflichtet fühlt und eine motivierte Belegschaft für den wichtigsten Faktor eines Unternehmens hält. Er hat die Mitarbeiterzahl geräusch- und kritiklos von dreihundertzwanzigtausend auf zweihundertvierzigtausend verringert. Ohne dabei jemanden zu entlassen. Das bedeutet ihm viel.
    An dieser Stelle interveniert erstmals sein früherer Mitarbeiter, der an diesem Gespräch teilnimmt. Er war einer von Mehdorns engsten Vertrauten bei der Bahn, aber er möchte im Text lieber namentlich ungenannt bleiben. Kurz nachdem sein Chef die Bahn verlassen hatte, wurde er von dessen Nachfolgern entlassen. Das Gespräch kam über ihn zustande, Hartmut Mehdorn traut seinen Empfehlungen weiterhin. Loyalität ist für den Airline-Chef ein hohes Gut.
    Es sei nicht leicht gewesen, Bahner zu sein, erläutert Mehdorns Weggefährte. Die Firma hatte keinen guten Ruf, das Selbstverständnis der Mitarbeiter war durch ständiges Beschwerdemanagement und demütigende Häme angeschlagen. Längst wollen kleine Jungs nicht mehr Lokführer werden. In dieser Phase habe der Chef den Menschen unheimlich viel Kraft vermittelt. »Er war der Abfangjäger, hinter dessen Rücken alle frei arbeiten konnten.« »Alle Pfeile auf mich«, war einer seiner Standardsätze.
    Das hört Hartmut Mehdorn gern, und seine schelmische Freude über all die Pfeile, die in seiner zehnjährigen Amtszeit ihr Ziel verfehlten, versucht er zu verhehlen, indem er das Lachen zu einem vielsagenderen Glucksen unterdrückt. Am Kämpfen hat er Spaß, das reinigt die Luft. Gäbe es mehr von seiner Sorte, »würde alles besser flutschen«. Er sagt tatsächlich »flutschen«, aber was er mit »alles« meint, lässt er erst mal offen. Führung sei nun mal vorangehen: »Wenn man schneller vorangeht, bekommt man hinten weniger Prügel.« Auch einer dieser Mehdorn-Sätze. Für viele ist er immer mindestens einen Schritt zu schnell gegangen.
    Hartmut Mehdorn hat das Tempo weiter erhöht, nachdem er, mit miserablen Zahlen gestartet, über drei Jahre mit seinen Zügen durch ein tiefrotes Tal gefahren ist. Im Jahr Vier schrieb die Bahn erstmals schwarze Zahlen, er dachte: »We’re on the way.« Der Erfolg wurde gebilligt, die notwendigen Veränderungen blieben umstritten. Oft wird der Erfolg geliebt, nicht aber die Erfolgreichen.
    Er hat sich nach Kräften bemüht, gute Gründe für das Mehdorn-Bashing zu liefern. Meistens weil er sich sicher war, in der Sache. Manchmal, weil es ihm an Fingerspitzengefühl fehl- te. Ab- und zugeben ist seine Sache nicht, auch wenn er die Bedürfnisse des Gegenübers längst erkannt hat. Die Kleinteiligkeit vieler Diskussionen verärgert ihn noch heute. »Jeder Bürgermeister fühlte sich berufen, um seinen Bahnhof zu kämpfen, wenn eine Zugstrecke eingestellt wurde«, spottet er, »auch wenn dort schon lange niemand mehr am Bahnsteig stand.« Auch die Politik vergaß in Wahlkampfzeiten regelmäßig den mehrheitlich von ihr erteilten Auftrag. Dass ihn der populistische Liebesentzug seiner politischen Auftraggeber enttäuscht hat, mag er nicht zugeben. »Wer gewählt werden will, will mit unpopulären Maßnahmen nichts zu tun haben, das ist nun mal so«, schnoddert er und schiebt kraftprotzig nach: »Wenn mich das anfassen würde,

Weitere Kostenlose Bücher