Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
sie nicht. Aber sie sei so froh, ihn mal zu sehen und ihm Danke sagen zu können. Sie müsse ihn jetzt mal umarmen. »Dann hat sie mich einfach umarmt«, gluckst er zum zweiten Mal an diesem Tag, »das fand ich toll«.
Er schüttelt sich kurz. Und will jetzt endlich wieder über Management reden, das ist es doch, worum es geht. Ein kleiner Zwischenstopp und noch mal die Nachfrage, wie es sich lebt als Unperson, welche Verletzungen geblieben sind? »Sie sind eine Frau, es ist schon klar, dass Sie immer wieder auf emotionale Sachen hinauswollen«, schreibt er mir nachsichtig zu. Aber er habe doch wirklich Wichtigeres zu tun. Gut, aber eine Sache gibt es dann doch: Als der »Zug der Erinnerungen«, eine Ausstellung zur Aufarbeitung der Rolle der Reichsbahn zur Zeit des Nationalsozialismus durch die Lande rollte, habe der Widerstand »eine inakzeptable Dimension« erreicht. Keinesfalls sei es so gewesen, dass er die Verantwortung der Bahn für die Auseinandersetzung mit der Geschichte scheute. Im Gegenteil, sie hatten alles früh und ausführlich aufgearbeitet und in eigens geschaffenen Ausstellungsflächen exponiert. Aber er wollte sich nicht vorschreiben lassen, auf welche Weise eine solche Dokumentation stattzufinden habe. Ein Bahnhof jedenfalls war für ihn nicht der passende Ort. Also hat er die vielstimmigen Forderungen nach Gebührenerlass für den »Zug der Erinnerung« überhört. Eine dieser Situationen, die er mit Fingerspitzengefühl einvernehmlicher hätte lösen können. Auch für sich selbst. Dass er für seine Haltung in eine rechte Ecke gestellt wurde, selbst Vergleiche wie »Mehdorn wäre auch bei der Reichsbahn gut aufgehoben« über sich ergehen lassen musste, empfindet er als infame Ungerechtigkeit. Er sei ein Mann der Minderheiten. Diese Wunde ist offengeblieben.
Es ist eine Gratwanderung, wie weit man von den eigenen Überzeugungen abrücken kann oder will im Sinne der Vermittelbarkeit seiner Standpunkte und der Vereinbarkeit unterschiedlicher Interessen. Oft werden inhaltliche Notwendigkeiten für die Modulation des eigenen Images, zugunsten karrierefördernder Faktoren und für den klassischen Machterhalt geopfert. Persönlichen Glanz im Sinne der Sache zurückzustellen gilt zwar als Tugend, diejenigen, die ohne Blick auf die eigene Imagebildung mutig entscheiden und mit Macht machen, finden dafür allerdings selten eine breite Zustimmung oder gar Anerkennung.
Hartmut Mehdorn hat sich im Einzelfall immer für seine Überzeugungen entschieden. Und er tut es weiterhin. In seiner Begrüßungsrede als Vorstandsvorsitzender von Air Berlin hat er unter anderem die Streichung aller Vergünstigungen für Politiker, VIPs und Journalisten verkündet. Beliebtheitsoffensiven sehen anders aus. Die Zahlen, die er vorgefunden hat, »waren nicht dolle«. Und wenn gespart werden muss, fängt man am besten oben an. Inzwischen fahren alle Vorstände MINI. Die obligatorischen Schokoherzen für die Fluggäste allerdings sind geblieben.
Nachgedacht, ob er es sich mit Konzessionen an der einen oder anderen Stelle leichter machen könnte, habe er nicht: »Aber ich bin einige Jahre schlauer, besonnener und ruhiger geworden.«
Niemand weiß, ob es ihm gelingen wird, die zweitgrößte deutsche Fluglinie durch diese Krise zu führen, aber viele sagen, wenn es jemandem gelingt, dann gelingt es ihm. Das meiste macht er genauso, wie er es als Bahn-Chef getan hat, das Handwerkszeug ist das gleiche. Auch wenn alles ein bisschen kleiner ist. Das Prinzip bleibt bestehen: »Alles hat mit allem zu tun.« Er ist nun nicht mehr Anführer eines Monopolisten, er muss Kunden gewinnen. Die politischen Interventionen sind weniger geworden, dafür haben die Aktionäre eine Erwartung. Die Geschwindigkeit ist höher, das gefällt ihm besonders. Flugzeuge sind eben schneller als Züge. Er passt nun seine Erfahrungen dem Umfeld an. Überhaupt ist Führung eines Unternehmens permanente Veränderung. Gute Manager verstehen sich darin, die Themen in hohem Tempo weiterzubewegen, Änderungsbereitschaft in der Belegschaft zu erzeugen, Menschen für ihre Positionen zu gewinnen. Das will er nicht mit Macht tun, sondern mit Überzeugungskraft. Da klingt er beinahe wie ein moderner Managertypus. Mitnehmen statt diktieren. Er sagt, er sei so etwas wie ein Prediger. Früher hätte er dafür den Vorwurf der Blasphemie fürchten müssen. Wenn er seiner Selbstbetrachtung mal ungebremst nachgeht, dann sei er eigentlich immer so gewesen. Ein Vermittler,
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