Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
aber mit der klaren Vorstellung, dass danach etwas kommen sollte. Sie haben gegolft, Tennis gespielt, gegrillt und gelesen. Es war gut, weit weg zu sein. Und auch wenn es keinen Moment gab, in dem er nichts mit sich anfangen konnte, wusste er, dass er noch nicht aufhören wollte, etwas zu bewegen. Er hat sich ein kleines Büro gemietet, ziemlich aufgeschmissen mit all dem, was zu erledigen war. Er war es gewohnt, Stäbe zu dirigieren, und auch wenn er sich ehemals aus Überzeugung für den internetbasierten Fahrkartenvertrieb eingesetzt hat, ein Ticket bestellt hatte er selbst auf diesem Wege noch nicht. Erst dachte er, er müsse sich Mitarbeiter einstellen, eine Assistentin mindestens. Doch dann fand er Gefallen an der Genugtuung eines selbstgebuchten Fluges.
Gefehlt habe ihm in dieser Zeit nichts. Vor allem nicht ausbleibende Einladungen zu repräsentativen Veranstaltungen. Er ist ohnehin nie hingegangen. Ständig fotografiert zu werden war ihm ein Gräuel, da fehlt die »Privacy«. Er geht immer schon lieber gemütlich essen, im kleinen Kreis, deshalb ist ihm nicht aufgefallen, wenn er von Gästelisten herunterpurzelte. Auch den Druck hat er nicht vermisst, wenngleich er sich erst daran gewöhnen musste, »dass nicht täglich irgendein Affe meinen Rücktritt gefordert hat«. Er habe keine Nutzlosigkeit empfunden, er hatte seine Aufgaben und vor allem seine Bücher.
Die bleiben jetzt erst noch mal eine Zeit unberührt. So ganz geheuer war ihm die Beschaulichkeit eben doch noch nicht. Er war im Aufsichtsrat von Air Berlin, als die Fluglinie in Turbulenzen geriet. Es sollte kein Führungsvakuum entstehen, eine Lösung von außen schien ob des Zeitdruckes zu riskant. »Dann haben mich alle angeschaut.« Er hat seine Frau angerufen, diesmal hat sie gesagt: »Tu, was du nicht lassen kannst.« Er wusste ohnehin, dass sie auch diesmal mitziehen würde, weil sie weiß, dass er es nicht lassen kann. Also legt sie ihm am Morgen wieder die Anzüge raus, »weil sie davon mehr versteht« und weil sich Autorität und Respekt vor dem Gegenüber auch in angemessener Kleidung und der passenden Krawatte dokumentieren.
Man kann in so einer Situation nicht den »Zuckerbäcker« geben. So heißt Entschlossenheit bei Hartmut Mehdorn. »Da habe ich mal ein bisschen aufgehört, Ruhestand zu machen.« Bis alles geordnet ist, will er die Bücher nun erst einmal liegen lassen: »Die werden ja nicht schlecht.« Das eigentlich vorgesehene Jahr ist längst überschritten.
Es ist allerdings ruhiger um ihn geworden in der neuen Aufgabe, auch wenn er sich nicht verändert haben will: »Ich gehe auch hier geradeaus und lasse mich nicht beirren.« Ob es eine Hypothek gewesen sei, mit seinem Bahn-Chef-Image vor die neuen Mitarbeiter zu treten? Er denkt nein. Nur ein paar blöde Scherze habe es gegeben. Der Flieger fährt an Gleis neun oder Ähnliches. Aber darum scherte er sich nicht. Das sei nun mal so.
Mit Spott müsse man sich eben abfinden, wenn man etwas bewegen will in diesem Land. Bei denen, die handeln, »wird das Haar in der Suppe gesucht«. Oder die falsche Betonung. Dass es das Buch »Senk ju for träwelling« zu höheren Verkaufszahlen gebracht hat als seine Biographie, die er zusammen mit Hugo Müller-Vogg geschrieben hat, sei schon klar, aber eben auch bezeichnend für eine Nation, »die ihre Fußballspieler, nicht aber ihre Nobelpreisträger kennt«. Seine Kumpels fanden das Buch richtig gut, er selbst war eigentlich gleich wieder grummelig, nachdem er zugesagt hatte: »Ich brauche solchen Weihrauch nicht.« Doch, er fühlt sich in diesem Buch ganz richtig dargestellt. »Aber das liegt vielleicht auch am guten Dialog mit dem Autor und daran, dass er aufgeschrieben hat, wer ich tatsächlich bin und was ich denke.« Ein Bestseller ist es trotzdem nicht geworden, glaubt er. Und hat damit wohl recht. »Aber das war auch nicht geplant.« Alles kommt von allem.
Auch dass er als Bahn-Chef mit der längsten Amtszeit in die Ahnengalerie des Unternehmens eingehen wird. Und da wirkt er dann doch ein bisschen stolz. Sein großer Verdienst sei es, die Bahn nachhaltig modernisiert, kundenfreundlich und profitabel gemacht zu haben. So, wie es sein Auftrag gewesen ist. Verändert habe er sich nicht in dieser Zeit, aber er, der Mehdorn, habe die Bahn verändert. Da ist er wieder. Und seinen Blick auf die Politik. Aber jetzt ist auch wirklich gut, er hat zu tun. Sein aktueller Auftrag wartet. Er ist siebzig, vielleicht ist es sein letzter. Der
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