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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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beide inne. Ob nun alle Bauarbeiter das Grundstück verlassen haben oder ob womöglich noch einer unbemerkt in den zahllosen Räumen werkelt? In der Unübersichtlichkeit der Gesamtbaustelle gibt es dann doch eine Analogie zur Telekom seiner Zeit.
    Ron Sommer hat den Übergang bewältigt und Ausgeglichenheit gefunden, auch wenn es keine angemessene Aufgabe für ihn gab. Er ist Manager, das ist seine größte Begabung. Für viele Gefallene bleibt die Suche nach einer neuen Berufung die leidvollste Aufgabe. Umso mehr, wenn die alte unvollendet zurückgelassen wurde. Wenn die Unvollkommenheit Zweifel an der eigenen Fähigkeit durch die unbestimmte Phase der Neuorientierung trägt.

    Rücktritte und Rausschmisse hat er viele erlebt, beschrieben, kommentiert und manche sogar befördert in seiner Zeit als Chefredakteur des Spiegels . Ob er den Blick darauf verändert hat, seit diesem speziellen, in sein Bewusstsein betoniertes Essen, während dessen ihm bei der Vorspeisensuppe mit seinem Herausgeber klar wurde, dass seine eigene Entlassung spätestens beim Dessert besiegelt sein würde? »In dieser Situation sicher nicht«, rekapituliert Hans Werner Kilz das folgenreichste Menü seiner Journalistenkarriere, »da wusste ich nicht, wie mir geschah.« Aber später, nachdem der wochenlange »Fight zwischen zwei Männern« endgültig mit dem Sieg des Machtvolleren zu Ende gegangen war, da gab es diese Gedanken. Das Kaleidoskop derer, die er hat gehen sehen. Solcher, die sich an ihn wandten, in der Hoffnung, die Geschichte zu drehen, die ihnen den Garaus machen würde. Diejenigen, die von einem Moment auf den anderen ihre Lebensaufgabe los waren. Jetzt war er auch einer von ihnen.
    Am Tag nach der angekündigten Absetzung wollte er mit ein paar Freunden kochen und ging dafür einkaufen in einem Hamburger Feinkostgeschäft, irgendwie Normalität simulieren nach dem Einschlag. Kulinarische Zerstreuung. »Dann sah ich mein Konterfei, das mich von all den ausliegenden Zeitungen anschaute. Und musste weg.« Das sei komisch gewesen, sehr komisch. Plötzlich stand er vor und nicht hinter den Buchstaben. Ohne Schutz. Die Titelseiten waren zu seinem ganz persönlichen Spiegel geworden.
    Hans Werner Kilz ist ein jovialer Mann mit lebhaften Augen und mit von Tausenden Lebenslächeln gefurchten Grübchen. Mit einem einnehmenden rheinhessischen Dialekt parliert er über die Komplexität europäischer Finanzpolitik ebenso salopp und gestenreich wie über die optimalen Voraussetzungen vielversprechender Olivenernte und die missratene Kaderplanung seines Lieblingsfußballvereins.
    Am liebsten aber spricht er über den Spiegel . Das hat sich auch beinahe zwanzig Jahre nach seinem Abschied nicht geändert. »Na ja«, sagt er und zieht dabei das Ja in die Länge, als läge darin schon die gesamte Erklärung. »Sie müssen wissen, diese Zeit, die ist unauslöschlich für mich.« Er meint damit nicht das skurrile Ende beim Kündigungsmahl, das er in weiser Voraussicht schon nach der Suppe verlassen hat, sondern vielmehr das knappe Vierteljahrhundert zuvor, das ihn als Journalist und als Menschen ausgebildet hat.
    Beeindruckt und ehrfurchtsvoll war er damals, als er, der »kleine Pimpf aus der Provinz mit dem präsidialen Auftritt« von der Mainzer Allgemeinen Zeitung dem Ruf des großen Nachrichtenmagazins folgte. Eigentlich immer ein bisschen zu unbedarft für den nächsten Karriereschritt. Im Deutschlandressort fühlte er sich so getriezt, dass er krank wurde: »Drei Geschichten in einer Woche sollte ich liefern, das habe ich nicht geschafft, auch nicht mit Vitaminspritzen.« Wie in einem Strafregiment sei es zugegangen, in diesem »elitären, testosteronprallen Männerverein«. Dann hat er sich zum Mitspielen entschlossen. Obwohl ihm der eigene Aufstieg ebenso wenig geheuer gewesen ist wie der spiegelsystemische Zynismus. »Als ich stellvertretender Leiter des Deutschlandressorts wurde, dachte ich: so ein Schuh und so ein Fuß.« Er unterstreicht diese Selbsteinschätzung effektvoll, indem er seine Arme zunächst in maximalmöglicher Weite ausbreitet und dann die Handflächen auf die Größe eines Kinderfußes zusammenführt. Aber er sei eben eine Spielernatur, wischt er das Aufblitzen grüblerischer Schwere mit einem Satz vom Tisch.
    Ein Spieler sei er, ja, aber kein Hasardeur, das sagte er auch Rudolf Augstein, als der ihm zum ersten Mal die Position des Chefredakteurs antrug. »Ich war damals gerade mal vierzig, erst zwei Jahre Ressortleiter

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