Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
wird jedoch meistens allein gewonnen, in der Zurückgezogenheit, der Entschleunigung, der Selbstzentrierung. Und oft in einem überraschenden, manchmal verborgenen Moment. So, wie die Entdeckung der Furcht auf der Kanzel mit dem Gefühl fragiler Glaubwürdigkeit, antastbar und ohne innere Sicherheit. Wie die Begegnung mit der verschlossenen Tür, die Kraft der Symbolik und deren Unüberwindbarkeit. Das Gefühl der Fremdheit beim Gang zur vertrauten Schanze. Es gibt unzählige Beispiele dieser Momente, die außerhalb der Beratungszirkel stattfinden, manchmal lange außerhalb des eigenen Bewusstseins.
Das Finale allein zu bestimmen und zu gestalten bewahrt einen Rest Würde. Die Autonomie der Entscheidung entspricht der Einsamkeit bei der folgenden Bewältigung der Konsequenzen. Die Verbündeten bleiben zurück, arrangieren sich im System oder gehen später unbeachtet, wenn die Bindung an die Ehemaligen zu eng gewesen oder ein Philosophiewandel für sie nicht gangbar ist.
Für manchen hat die Inszenierung des Abgangs eine ganz besondere Bedeutung. Roland Koch hatte an diesem Tag großen Spaß und feixt noch heute beim Gedanken daran, wie er den Ablauf samt Reaktionen minutiös mit seinem engsten Berater geplant hat: »Die erste dpa-Meldung hatten wir auf 9.40h taxiert, um 9.43h ist sie gekommen.« Es liege in der Logik seines Lebens, das Ende zu kennen, sagt er salbungsvoll. Beinahe auf die Minute. Sich selbst einen Brief zum Tag des Rücktrittes zu schreiben, so wie er es von Kollegen kennt, um sich der eigenen Lebenstauglichkeit ohne Amt zu versichern, das brauchte es für ihn nicht. Dass sich der Übergang dermaßen reibungslos darstellte, sei allerdings ein Glücksfall gewesen, wenn auch keine Überraschung. Der Markt hatte ihm schon direkt nach der verlorenen Wahl zwei Jahre zuvor signalisiert, dass es lukrative Gelegenheiten gibt für einen wie ihn. Diese Perspektive hat sein anerzogenes Unabhängigkeitsgefühl zusätzlich gestärkt. Er kannte die Schicksale derer, die keine Option sahen für einen Wechsel zum richtigen Zeitpunkt, und wusste, er würde keiner von ihnen sein.
Ole von Beust hatte den Tag lange vorher festgelegt. Seine Demission mit der Abstimmung über die Schulreform zu verbinden war ein letzter Akt politischen Kalküls. Das Prozedere selbst schildert er unaufgeregt, so wie auch der ganze Tag gewesen sei. Die Rede hat er allein geschrieben und nieman- dem gezeigt. Sein Abgang sollte sein Abgang sein. Es gab auch keine zwei Varianten, eine siegestaumelige und eine zerknirschte, angepasst an den Ausgang des Bürgerentscheids. Sein Ende war über das bloße Ergebnis längst erhaben. Über den gebührenden Raum und das rechte Licht hat er sich aber schon Gedanken gemacht. Er habe ein besseres und ein schlechteres Profil, glaubt er.
Hartmut Mehdorn nutzte die Genugtuung glorreicher Bilanzzahlen, um auf Wiedersehen zu sagen, und ging mit einem unausgesprochenen, »das habt ihr jetzt davon«.
Unumstritten sind Rücktritte, deren Umstände eindeutig sind. Wenn die Kompetenz oder Integrität des Gehenden unaushaltbar in Zweifel gezogen ist. Die Mystifizierung des Abgangs entsteht aus dessen Fragwürdigkeit. Oftmals sind es Frauen, die zur eigenen Ehrenrettung zu raschen oder gar voreiligen Konsequenzen neigen. Sowohl im Fall von Margot Käßmann wie auch in der Entschiedenheit von Maria Jepsen bleibt berechtigte Skepsis, ob der Schlussstrich notwendig, ob männliche Verhaltensmuster entsprechend gewesen wären. Und die Bewertung von außen. Maria Jepsen beantwortet diese Frage unumwunden: »Frauen sind gradliniger, Männer sitzen viele Dinge stoisch aus.«
Ron Sommer wollte die Entscheidung herbeiführen, ehe andere sie für ihn treffen. Als er vor den Aufsichtsrat trat, war das Redemanuskript schon vorbereitet, aus dem er kurz darauf seinen Abschied verkündete. Er habe sich »der Realität zu stellen, dass der Aufsichtsrat des Konzerns nicht mehr uneingeschränkt zu mir und der von mir verantworteten Strategie für das Unternehmen steht«. Wenige Worte waren es nur, der Versuch, die innere Berührung mit Sachlichkeit und Reduktion äußerlich unbewegt zu übergehen. Er blicke mit einem »subjektiven Gefühl der Befriedigung« auf seine Telekom-Zeit zurück und hofft, das werde sich mit einigem Abstand auch objektiv bestätigen.
Glaubt er nun, mehr als zehn Jahre nach dem Rücktritt, dass sich diese Hoffnung erfüllt hat? Zumindest schaue man abwägender darauf, sagt er mit der Bereitschaft zu
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