Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
und ein kleiner Fisch in diesem Haifischbecken.« Der Herausgeber hielt ihn danach für einen Zauderer, nur bedingt einsatzbereit als zentrale Figur in seinem großen Medienmachtspiel. Aber er warf ihm dennoch zu, er solle mal ein bisschen intensiver den Wirtschaftsteil und das Feuilleton lesen. »Da wusste ich, der kommt auf mich zurück.«
Er beschreibt diese besondere Form der Personalführung mit einer Mischung aus Bewunderung und Erschaudern. Immer befangen sei er gewesen, in Anwesenheit des unberechenbaren Spiegel -Gründers und dessen perfiden Strategien, »alle unter Druck zu halten«. Aber irgendwie auch angerührt von der Einsamkeit, die er mitfühlte, wenn »der Alte« ihn dann und wann zu einer Suppe einlud, weil er mit jemandem reden wollte. Diese seltenen Zeichen der Wertschätzung, die er sich durch couragierte Berichterstattung und renommeeträchtige Enthüllungen wie der Flick-Parteispendenaffäre verdiente.
Irgendwann hat er sich bereit gefühlt, Chefredakteur zu sein, auch wenn er im privaten Kreis über die eigene Berufung scherzte und noch heute mit »seinen Manschetten« kokettiert.
Trotzdem habe er das wohl ganz gut gemacht, resümiert er mit hoheitlicher Flapsigkeit und schenkt Weißwein nach. Er könnte Abende füllen mit den Geschichten aus dieser Zeit. Mit den Begegnungen mit den großen Charakterköpfen. Helmut Kohl zum Beispiel, der Spiegel -Hasser, mit dem ihn eine »landsmannschaftliche Schiene« verband. Zwanzig Kilometer voneinander entfernt sind sie aufgewachsen, da versteht man sich. Also hat der Kanzler die zementierten Ressentiments über Bord geworfen und Kekse und ein »staubiges Fläschchen« aus dem Schrank geholt. Nicht ohne vorher die Anzugschuhe gegen ausgelatschte Sandalen zu tauschen, erinnert sich Hans Werner Kilz an eine der liebenswerteren Marotten des Staatsmannes. Kohl habe ihm imponiert mit seiner Machtbeflissenheit und seinem trockenen Pfälzer Humor. Doch nicht lange nach dem Aufbau der zarten Bande hat ihn des Kanzlers berühmter und gefürchteter Bannstrahl getroffen. »Respice finem«, sagte der ihm noch bei einem spätabendlichen Anruf und beendete mit dem Gespräch auch die fragile Beziehung. Eigentlich wegen einer Kleinigkeit, erinnert sich der abservierte Landsmann, die Geschichte sei beinahe zu banal, um sie zu erzählen. »Aber der Kohl hat alle wie Marionetten behandelt, wer ihm nicht mehr gefiel, wurde aussortiert.«
Hans Werner Kilz mochte den Umgang mit den Mächtigen, und er hat es genossen, auf eine Weise ebenbürtig zu sein. Gefiel er sich auch darin? »Sie müssen wissen«, holt er mit seiner charakteristischen, zeitgewinnenden Satzeinstiegsformel aus, auf die jeweils ein kurzes, bedeutungsbetonendes Schweigen folgt, »die Funktion des Spiegel -Chefredakteurs verleiht nun mal eine gewisse Stellung.« Entscheidend sei, dass man sich als Mensch von der Bedeutung distanzieren könne, die die Funktion innehat. Das sei ihm weitestgehend gelungen, glaubt er. Und rückt sich dann selbst zurecht: »Na ja, vielleicht nicht immer.«
Schön fand er zum Beispiel, wenn er zu jemandem sagen konnte: »Du bist gut, du bekommst mehr Geld«. Aber er habe natürlich auch eine enorme Verantwortung getragen. Für aufsehenerregende Aufmacher wie im Falle Uwe Barschel, dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, dessen Todesumstände noch heute nicht vollständig aufgeklärt sind. »Da fragt man sich schon mal, haben wir den jetzt in den Tod geschrieben?« Aber allzu lange hat er sich mit dieser Frage auch wieder nicht gequält. Er hat ja nur die vorhandenen Informationen abgebildet. So wie auch in Bad Kleinen, als bei einem Schusswechsel zwischen Bundesgrenzschutz und einem RAF-Paar der Terrorist ums Leben kam. Durch Selbsttötung war die offizielle Version. Durch die Kugel eines GSG-9-Beamten, flüsterte ein Informant des Bundesgrenzschutzes, der an diesem Einsatz teilnahm, dem Spiegel . Der hatte seinen konspirativen Zeugenbericht auf Tonband gesprochen und, als der Titel »Die Hinrichtung« bereits im Andruck war, sämtliche Aussagen zurückgezogen. Hans Werner Kilz entschied, die Geschichte trotzdem zu machen, in absoluter Gewissheit, »wenn das schiefgeht, bin ich nicht mehr Chef«. »Der Todesschuss« hieß die abgeschwächte Reportage, die nicht ihn, sondern den Bundesinnenminister das Amt kostete.
Ein paar kryptische Mails habe er damals von Rudolf Augstein bekommen, solche, deren Text »jede Interpretation zuließ«. Glückwünsche für
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