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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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Werner Kilz ist Hans Werner Kilz geblieben. Ein sanfter Diktator sei er als Chefredakteur gewesen, sagen Kollegen. Einer, mit einer Mischung aus Konsequenz und Behutsamkeit, sagt er. Einer jedenfalls, der bedingungslos für seine Redaktion einstand. Die Süddeutsche war ein Glücksfall für ihn. Und er für sie, versichern solche, die es wissen müssen. Seine gegenwärtige Ausgeglichenheit bekennt er, die sei dieser wunderbaren Fügung zu verdanken, dass er »die SZ zu einer noch besseren deutschen Zeitung machen konnte.« Daran werde er heute gemessen. Die Aufgabe war vollendet, deshalb ist er ohne Wehmut in den Ruhestand gegangen. Ruhestand wiederholt er und witzelt: »Ich bin noch ziemlich aktiv, in jeder Hinsicht.« Die Medienbranche hat Platz für nachdenkliche Haudegen wie ihn, deshalb hat er eine Vielzahl von Funktionen und Mandaten in Aufsichtsräten und Beratungsgremien inne. Er will auch weiterhin schreiben, das Buch hat er schon im Kopf. Aber der Hauptdarsteller der Biographie windet sich noch. Also lässt er das erst mal für später liegen. Und vielleicht wird sein Lieblingsfußballclub doch irgendwann anfragen, wenn das Präsidentenamt mal wieder frei ist. Ergriffen von aufflackerndem Übermut angesichts dieser verheißungsvollen Idee, juchzt er laut auf: »Das wär doch wirklich mal was.«
    Ob ihm aufgefallen ist, dass wir ziemlich lange über den Spiegel gesprochen haben? »Nicht über Fußball?«, fragt er treuherzig. »Na ja, Sie müssen wissen, wenn man eine Aufgabe unvollendet verlässt, bleibt immer etwas offen.«
    Und als er sich konzentriert beim Gedanken daran, was er vermisst, seit er nicht mehr in einflussreicher Position ist, da fällt ihm folgerichtig auch eine Sache aus der Spiegel -Zeit ein: Ein rotes Sofa habe er gehabt, ganz weiches Leder, sein »einziges Zeichen von Status«, betont er. »Aber wer darin saß, der wusste, er sitzt beim Chefredakteur.« Das hätte er gern mitgenommen.

Das Leben danach
»Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.«
Sepp Herberger
    Heather Jurgensen hatte keine Vorstellung von ihrem neuen Leben. Sie hat ihr ganzes Leben lang getanzt. Ballett ist ein Fulltime-Job. Einer, der nicht endet, wenn der Trainingssaal verlassen, der Applaus nach der Vorstellung verklungen ist. Ballett ist eine Berufung und eine Lebensform. Sie hat nie etwas anderes getan, seit sie sieben Jahre alt ist, und sich nicht damit beschäftigt, dass der Körper einer Tänzerin zwangsläufig das Ende vorgibt. Unerbittlich und unverhandelbar.
    Sie fasst den Entschluss aufzuhören an einem Wintermorgen, an den sie sich nicht mehr so genau erinnert. Wie viele meiner Gesprächspartner sich nicht mehr erinnern können oder wollen an die Tage, die die Weichen zur Veränderung stellen. Gerade dann, wenn diese Momente mit extremen Erlebnissen verbunden sind, funktioniert die erlösende Verdrängung. Manche nennen es ihren Blackout, andere beschreiben die Szenen nur verschwommen, bemüht, dem Moment die Bedeutung zu rauben. Und ab und an ist auch der Versuch der Legendenbildung augenfällig.
    Die finale Entscheidung wird oft einsam getroffen, wenn die Indizien des unvermeidbaren Endes ausreichend lange eingesammelt sind. Auf den zehrenden, unterschiedlich langen Prozess der unverstellten Bewusstseinsbildung, nach unzähligen Gesprächen, Einflüssen von außen, Impulsen der Ratgeber folgt eine Rückkehr zum eigenen Kern, eine Konzentration auf die ganz persönliche Wirklichkeit.
    Auch Heather Jurgensen entschied das Aufhören ganz für sich allein. Ohne zu wissen, was danach kommt, »weil ich nicht wollte, dass ein Choreograph oder die Leute in der Vorstellung sagen, dass es nicht mehr gut aussieht, wie ich tanze«. Niemand hat je gesagt, ihr Tanz sähe nicht gut aus, sie war der Star eines glänzenden Ensembles. Achtzehn Jahre lang die Primaballerina. Aber sie wollte es selbst sein, die bestimmt, wann es zu Ende ist.
    Die Amerikanerin ist eine zurückhaltende, beinahe scheue Frau, die langsam spricht und jedes ihrer Worte sorgsam abwägt. Sie entschuldigt sich für ihr Deutsch, ohne während unseres Gesprächs eine einzige Vokabel falsch zu verwenden. Mit der gleichen Präzision, mit der sie artikuliert, hat sie getanzt in John Neumeiers bejubeltem Hamburger Ballett.
    Jetzt sitzt sie hier in einem kleinen Raum in der Oper in Kiel, wringt die Hände wie ein verschwitztes Handtuch nach einer anstrengenden Trainingseinheit und füllt den Ort mit der gleichen stolzen Anmut aus wie früher all ihre großen

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