Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
er sich da gerade selbst? Vielleicht eher seine großen Vorbilder Willy Brandt und Helmut Schmidt. Aber er habe schon versucht, in deren Richtung zu gehen. Kann er diesen Idealtypus heute finden, unter seinen Nachfolgern? Dafür braucht er einen ausgiebigen Zug an der Pfeife, währenddessen er gedanklich durch die politische Landschaft flaniert. Die Dauer der Abschweifung verheißt nichts Gutes für seine Branche. Aber doch, Frau Lagarde, die gefällt ihm, »die hat Klasse«. Und natürlich Barack Obama. In Deutschland? Thomas de Maizière, beginnt er aufzuzählen, »der ist ein bisschen preußisch, aber sehr glaubwürdig«, und Hannelore Kraft, die findet er angenehm unaufgeregt. Seinetwegen könnte sie auch gern Kanzlerin werden. Und diese junge Frau, Manuela Schwesig, »die hat was«. Vor allem aber fallen ihm Negativbeispiele ein. Solche, die viel Staub aufwirbeln, »aber noch nie einen bedeutenden Satz gesagt haben«.
Björn Engholm mag sich gern leiden in der Rolle des Grandseigneurs der Sozialdemokratie, auch wenn er sich von den praktizierenden Sozis lieber fernhält. Er kann keinen Ethos erkennen in der Politik, das ist nicht leicht für einen bekennenden Kantianer. Also hält er eine gepflegte Distanz und diskutiert seine Positionen in launigen Runden mit Freunden, vor allem aus der Kultur. Und seit kurzem via Facebook, erzählt er mir komplizenschaftlich von seiner neuentdeckten Freizeitbeschäftigung. Viertausendfünfhundert Freunde hat er schon und das innerhalb von nur acht Wochen. Jeden Tag schaue er rein, und jeder, der sich meldet, bekommt drei nette Zeilen. Einmal in der Woche will er sich mit einem relevanten politischen Thema zu Wort melden, aber heute hat er sich mit einem wahren Kenner über Beethoven-Interpretationen ausgetauscht, das sei »ganz reizend« gewesen, freut er sich. Und fügt angesichts meiner übersichtlichen Begeisterung hinzu: »Ich weiß schon, das ist Quatsch, aber es ist so was wie Gehirntraining, gut für den Verstand.«
Der ehemalige SPD-Vorsitzende und designierte Bundeskanzler macht sich die Welt gern wie sie ihm gefällt. Seine nonchalante Ausgeglichenheit ist ansteckend, und es bedarf einiger Zeit, um die Treppe hinabzusteigen, in die dunklen Tage seiner Politikerlaufbahn, die ihre Schatten bis heute werfen.
Er sei ein Kind der 60er gewesen, sein Antrieb war kein geringerer, als die Welt zu verändern. Weniger exaltiert und provokativ als die nachfolgende 68er-Generation, aber voller Überzeugung für staatliche Kontrolle und soziale Gerechtigkeit. In die Politikerlaufbahn ist er so reingeschlittert: »Ich habe mich nicht eine Sekunde aktiv um meine Karriere gekümmert, ich wurde immer gefragt.« Oder geschickt. Irgendwann kam sein Chef Herbert Wehner und sagte: »Du bist ab morgen Arbeitskreisvorsitzender.« Er versuchte zu intervenieren: »Herbert, ich kann das nicht.« »Ab morgen«, schloss Wehner den apodiktischen Dialog. Wenig später machte ihn Helmut Schmidt zum Staatssekretär. Diesmal sparte er sich den zögerlichen Einwand. »Schmidt ließ keine Zweifel zu.« Er mochte diese Tage der parteipolitischen Mittelbank: »Ich war von Herzen Parlamentarier.« Und auch die spätere Zeit als Bildungsminister habe er sehr genossen.
In diesen Jahren hat seine Ausbildung stattgefunden. Von Schmidt lernte er das Regieren, von Brandt, die Welt im Auge zu behalten. Beide haben immer versucht »die Latte so weit runterzulegen, dass möglichst viele mit drüberspringen konnten«. »Ohne dabei ihre Ziele aus dem Auge zu verlieren«, schwärmt er von den großen Impulsgebern der Sozialdemokratie. Ob ihm die Größe der Fußstapfen eine Last gewesen ist, als er selbst kurz vor der Kanzlerschaft stand? Da widmet er sich wieder für einen Moment seiner Pfeife, der treuen Komplizin. Er glaubt, er hätte ein guter Kanzler sein können, antwortet er bedächtig. Aber den Weg dahin, den hätte er nicht geschafft. »Ich hatte keine Kanzler-DNA«, ist seine Übersetzung für eine Dünnhäutigkeit, die ihm damals häufig zur Last gelegt wurde.
Kanzler-DNA, das ist für ihn die Bereitschaft, machttaktische Erwägungen im Bedarfsfall über Inhalte zu stellen. Die mediale Klaviatur zu spielen und dabei die eigenen Überzeugungen über den Haufen zu werfen: »Sie müssen in jedes Mikrophon beißen.« Das wollte er nicht. Da hätte er erst mal die Pfeife aus dem Mund nehmen müssen, die so unumstößlich zu ihm gehört wie der Grundsatz: »Handle so, dass aus deinem Handeln niemand Schaden
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