Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
Vom Netzwerk:
Parteivorsitzender zu werden, »das war dumm«. Er steigt rasch ein paar Stufen hinauf. Glücklich sei er gewesen bis dahin, habe vor allem positive Erfahrungen gemacht. »Erfolg belebt ungemein.« Politik ist doch ein stetiges Suchen nach Lösungen, ein Handel mit den Menschen und ihren Interessen. Aufnehmen, zuhören. »Man fängt mit einem Brot an und endet beim Brötchen«, so ist sein Verständnis von politischen Prozessen und Demokratie. Dem Anstieg seiner Sympathiewerte konnte er zusehen, Gegner gab es nur noch bei der CDU. »Das putzt richtig«, zitiert er Thomas Mann und unterstreicht seine vielbeschriebene Genussfähigkeit. Sein Fahrer hat oft vor der Kneipe gehalten am Abend, bei seiner geselligen Lieblingswirtin Helga, »der Königin der Nacht«. Meist an guten Tagen, von denen es viele gab in den rosigen Zeiten der Landesregierung. An den schlechten ist er lieber ins Bett gegangen.
    Er weiß auch nicht mehr, warum er sich in den Parteivorsitz hat treiben lassen. So ein verflixter Parteiloyalismus sei das gewesen. Gerhard Schröder war noch nicht so weit, Oskar Lafontaine gerade durch das Attentat geschwächt. Da sollte er es machen. »Ich bin nie ein Parteimensch gewesen, die Widerstände, die sich aus der Parteimaschinerie ergaben, habe ich völlig unterschätzt.«
    Vermutlich wäre er dennoch Kanzler geworden, hätte es nicht diesen verfluchten Moment im Untersuchungsausschuss gegeben. Die Umfragen waren konstant zu seinen Gunsten, als neue Recherchen zur Barschel-Affäre zutage brachten, dass Björn Engholm lange vor der Wahl über die Machenschaften des Gegners informiert gewesen war. Die Nachricht, dass sein engster Mitarbeiter dem Kronzeugen der Affäre an einem Rastplatz Geld übergeben hatte, brachte die Geschichte erneut ins Rollen und seine Kanzlerschaft ins Wanken.
    Warum er vor dem Ausschuss gesagt hat, er habe nicht von der Intrige gewusst, daran kann er sich nicht erinnern. Alles ging so schnell. Und überhaupt lag der ganze Fall schon fünf Jahre zurück. Es sei ein Fehler gewesen, sicher. Eine Unachtsamkeit vielmehr. Aber doch nicht vergleichbar mit all dem, was Barschel ihm angetan hat. »Wo ist denn da die Verhältnismäßigkeit?« Jetzt fällt es ihm schwer, seine Gelassenheit beizubehalten, und auch die Pfeife dient ihm nicht mehr als Fluchthelferin. Er weiß, er hätte zugeben müssen, dass er von den Angriffen wusste. Aber dass er deshalb vom Opfer zum Täter gemacht werden sollte, das hat ihn tief getroffen. Er nennt es eine »geringfügige Unwahrheit«, einfach »eine Winzigkeit, über die ich nicht nachgedacht habe«. Dass die »Winzigkeit« seine politische Karriere beenden, ihn zwingen würde, als Kanzlerkandidat, Parteivorsitzender und Ministerpräsident zurückzutreten, das habe er niemals geahnt. »Sonst hätte ich ja anders geantwortet.«
    Björn Engholm ist ein charmanter Plauderer, und so nutzt er jede Gelegenheit, um wieder ein paar Stufen aus dem Keller nach oben zu steigen. Eine kleine Plänkelei mit der zugewandten Kellnerin, ein fürsorglicher Blick auf mein Weinglas, das möglicherweise Nachschub braucht, oder das Überprüfen der Funktionstüchtigkeit des Diktiergerätes bringen ihn wieder auf sicheres Terrain. Die Narben seiner Zäsur und vor allem deren Umstände sind weit unter der Oberfläche, und er hat es in all den Jahren geschafft, sie dort zu belassen. Im Bewusstsein ihrer Existenz, doch ohne Zynismus oder Trübsal daraus zu entwickeln.
    Schnell hatte er verstanden, dass die Falschaussage eine Dimension bekommt, die er nicht mehr zu beherrschen imstande ist. »Die Zeit nach der Äußerung vor dem Ausschuss war haarig«. Die unvermeidlichen Konsequenzen, und das ist die einzige Situation in unseren Gesprächen, in der Bitterkeit spürbar wird, verdeutlichten ihm die eigenen Leute. Er hätte gekämpft, auch als er vehement in der Kritik stand, um die »Sache in Ordnung zu bringen«, und für die richtige, gerechte Einordnung. Aber seine Parteifreunde gaben ihm unmissverständliche Zeichen, dass er mit ihrer Unterstützung nicht rechnen könne. »Wie ich später erfuhr, war das Kabinett schon längst neu besetzt, bevor ich überhaupt weg war«, schüttelt er angewidert den Kopf.
    Er hat nicht lange nachgedacht, nach dem Erkenntnismoment musste der Schritt innerhalb von vierundzwanzig Stunden folgen, um der Handelnde zu bleiben. Gesprochen hat er nur mit seinen Freunden außerhalb der Politik, die haben ihm allesamt zugeraten zu seiner ohnehin entschiedenen

Weitere Kostenlose Bücher