Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
nimmt.« Stimmt das denn auch für ihn, auch für seine Zeit in Machtpositionen? Er hoffe schon, zumindest wissentlich habe er niemandem geschadet. Und dann relativiert er seinen Maßstab mit der elegantestmöglichen Freisprechung: »Ich bin ein ethisch fundierter Mensch, aber meine Moral darf nicht jeden Tag hinterfragt werden.«
Warum er eigentlich keine Biographie geschrieben hat, frage ich ihn irgendwann während dieses schwindelerregenden Parforceritts durch seine philosophische Doktrin und seine schwergewichtige politische Sozialisation. Er habe einfach zu wenig Material gesammelt, sagt er lapidar. Aber er habe auch nicht wieder und wieder über diese bösartige Geschichte sprechen wollen. Über diesen Barschel.
Dieser Barschel. Das Brandzeichen seiner Karriere. Der Name einer Affäre, die so viel größer war als die Landespolitik im beschaulichen Schleswig-Holstein und doch nur die unselige Lebensgeschichte eines machtbesessenen Mannes.
Es war von Anfang an nicht leicht, als Ministerpräsidentenkandidat aus Bonn nach Lübeck zurückzukehren. Dorthin, wo er geboren wurde und heute »der zweitberühmteste Mann nach Günter Grass« ist. Nach vierzig CDU-regierten Jahren war alles »rabenschwarz«, was er vorgefunden hat, die Angriffe gegen ihn von Beginn an so massiv und persönlich, dass seine Familie ihn darum bat, wieder nach Bonn zurückzugehen. Er sei zwei Jahre durchs Land gezogen, um diese Phalanx zu knacken. Mit störrischem Durchhaltevermögen und manchmal auch wackeligen Knien schruppte er die Hallen und Veranstaltungen von Flensburg bis Pinneberg. Besuchte sogar die Hochburgen der CDU wie den Landesbauernverband: »Ich bekam keinen Applaus nach der Rede, aber später standen fünfzig Leute mit mir an der Theke«, schmunzelt er bei der Erinnerung an die unverdrossene Eroberung seines Heimatlandes. Er spürte, dass die Menschen ihn mögen, das entschädigte ihn dafür, dass die Attacken und Gerüchte immer infamer wurden. Offizielle CDU-Wahlbroschüren seien gedruckt worden, die ihm feudale Auslandsreisen und Maniküre auf Staatskosten unterstellten. »Man wollte mich entfremden von meiner Basis.« Er sagt »man«, wenn er über diese politische Kabale spricht, und meint damit eine Instanz, die größer war als sein direkter politischer Widersacher.
Er hat Uwe Barschel nie über den Weg getraut. Schon bei der ersten Begegnung unter vier Augen habe der ihn mit verwegenen Verbrüderungsversuchen irritiert. Er werde eine Lösung finden, damit Engholm materiell aufgefangen sei beim Wechsel vom Bundesminister zum Oppositionsführer, so er die Wahl verliert, was Barschel selbstgewiss implizierte. »Danach habe ich es vermieden, jemals wieder allein mit ihm im Raum zu sein«, empört sich Björn Engholm noch nachträglich über den wohlfeilen Einwicklungsversuch des Kontrahenten. Und über dessen Hang zu Grenzüberschreitungen: »Er hatte sich also bereits mit meinen Finanzen beschäftigt.«
Es schaudert ihn bei der Vorstellung eines Machtwillens, der bereit ist, andere zu vernichten. Und auch sich selbst. Menschen seien das, die nichts anderes haben. Er hat sich dann nicht mehr gewundert, als er erstmals von den Gerüchten erfuhr, dass Barschel ihn auf die schlimmstmögliche Weise zu entwürdigen versuchte. Als dieser in der berühmten Pressekonferenz kurz vor seinem Tod mit seinem Ehrenwort der Nation seine Unschuld zu versichern versuchte, »wussten wir, dass es eine Lüge ist«.
Nun sind wir im Keller seiner Karriere, und es fällt ihm nicht leicht, angemessene Beschreibungen dafür zu finden, wie sehr ihn die Untrennbarkeit seines Namens mit dem Stempel »Barschel-Affäre« noch immer quält. Er versucht es zunächst abgeklärt medizinisch: »Der Mensch ist imstande, sich zu anästhesieren«, und schiebt dann doch ohne Betäubung nach: »Dieser Mann hat mich meines Lebenswerkes beraubt, das ist gemein.«
Sein Lebenswerk ist das eines Politikers, der dreißig Jahre gewirkt und dabei Zeitgeschichte mitgeschrieben hat. »Ein bisschen wenigstens.« Er hat Frauen- und Bildungspolitik gefördert und die Ostsee als Handelszone geöffnet, als die Mauer noch lange nicht gefallen war. Das sind Dinge, die bleiben. Daran kann auch dieser Barschel nichts ändern.
»Life is life«, stößt er dann aus, um dieses Kapitel fatalistisch abzurunden. Davor noch die Bitte um einen weiteren Kellermoment. Ob er auch Fehler gemacht habe in dieser Zeit? »Klar«, räumt er offensiv ein, »viele.« Kanzlerkandidat und
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