Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
half.
Je größer die Popularität und die Bedeutung, desto unantastbarer die Verschmelzung zwischen Person und Funktion. Und auch mit dem Gesamtwerk der Karriere und den Umständen des Abgangs.
Manchmal reicht eine Aussage, um zum unverwechselbaren Assoziationsbegriff zu werden. Roland Koch hat seine Ankündigung der »brutalstmöglichen Aufklärung« der CDU-Parteispendenaffäre ein einziges Mal in einem Live-Interview des Heute Journals gemacht. Und damit dazu eingeladen, eine Metapher für unausgefüllte Worthülsen mit seinem Label zu versehen.
Huub Stevens, Fußballtrainer des FC Schalke 04, beklagte kürzlich in einem Interview, er habe exakt einmal gesagt, »die Null muss stehen« und das sei tausendfach nachgeschrieben und zur Grundlage seiner Trainerphilosophie stilisiert worden.
Josef Ackermann reichte ein leichtsinniges Victory-Zeichen, um seither als selbstgerechter Großprotz gezeichnet zu werden, wann immer unverantwortliches Handeln eine charakteristische Visualisierung braucht.
Aber ist es die gnadenlose Verkürzung der Protagonisten auf eine einzige, manchmal unbedachte Handlung, ohne Chance auf nachträgliche Korrektur? Oder ist es vielmehr die Sequenz, die zur Etikettierung des Habitus und der Persönlichkeit taugt? Die Szene eines Charakters. Das Symbol einer Biographie.
Björn Engholm kennt all diese Stigmatisierungen. Er hat nicht mit rabaukigen Formulierungen oder fehlendem Taktgefühl für die Schlagzeilen seines politischen Lebens gesorgt. Für ihn hat das ein anderer erledigt.
Der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident war mein erster Gesprächspartner für dieses Buch. Die Anbahnung gestaltete sich ermutigend einfach, wir verabredeten uns kurzfristig in seinem Stammlokal in Lübeck. Aus einer Mischung aus Nervosität und Ehrfurcht hatte ich für die etwa einstündige Fahrt komfortable zweieinhalb Stunden Anreisezeit vorgesehen, um mich nach der Ankunft bei einem entspannenden Glas Rotwein für die Begegnung zu beruhigen. So war der Plan. Die Realität war eine wegen eines Oldtimer-Rennens gesperrte Autobahn. Eine Mobilnummer gab es nicht und damit keine Möglichkeit, meine unvermeidliche einstündige Verspätung anzukündigen. Als ich verschwitzt und verzagt im Lokal eintraf, allein um mich zu versichern, dass ich mindestens diese Begegnung fulminant vermasselt hatte, empfing mich ein einsamer Gast, wohlig in sich versammelt, seine markenbildende Pfeife rauchend.
Björn Engholm ist eine beeindruckende Erscheinung, nicht nur wegen seiner Größe und der raumfüllenden Distinguiertheit. Lässig schrumpft er meinen Lapsus zur Lappalie und versucht mir großmütig die Zerknirschtheit zu nehmen. »Das passiert schon mal, damit kann ja keiner rechnen.« Es sei ja auch schön, wenn er auf diese Weise mal Zeit zum Innehalten geschenkt bekomme.
Er hat nämlich noch viele Termine, einer mit seiner Seniorität ist gefragt, aber er macht nur noch das, was er will. Schwer vorzustellen, wenn man ihn so erlebt in seiner kultivierten Unabhängigkeit, dass das mal anders gewesen sein könnte. Dass er jahrzehntelang Teil eines knallharten, fremdbestimmten Machtsystems gewesen ist.
Musik und insbesondere Jazz, er spricht Jazz deutsch aus, mit der markanten Betonung des Doppel-z, interessieren ihn jetzt besonders. Überhaupt Kultur. Eine Schande sei es, wie schnöde die öffentlich-rechtlichen Sender alles, was eine gewisse Klasse hat, verschmähten. Darüber könnte er sich jetzt so richtig echauffieren. Aber stattdessen bestellt er erst mal ein Glas Wein. Die Kellnerin weiß schon welchen.
Apropos Fernsehen: Er geht nur noch selten hin, obwohl er oft angefragt wird, zu diesem und jenem. Kürzlich habe er doch tatsächlich rausbekommen, dass dem Oskar Lafontaine für eine Talkshowteilnahme eine höhere Gage angeboten wurde als ihm. Da hat er abgesagt. Natürlich nicht wegen des Geldes. Aber er sei nun wirklich nicht weniger wert als sein ehemaliger Parteigenosse. »Das«, schimpft er, »ist kein guter Stil.«
Stil ist auch eines seiner Lieblingsthemen, von denen wir im Laufe der Begegnungen noch so manche identifizieren werden, und so ereifert er sich unversehens im Umkehrschluss und prangert die »grassierenden Stillosigkeiten« im Allgemeinen und am konkreten Beispiel an. Kleidung, Auftritt, Manieren müssen stimmen, das sei für jeden Menschen erste Bürgerpflicht. Politiker brauchen noch dazu Inhalt, Aura und Charme, zumindest die, die erfolgreich sein wollen. Charakterisiert
Weitere Kostenlose Bücher