Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Entscheidung: »Wenn man verloren hat, wirft man das Handtuch.«
Mit edlen Boxmetaphern und dem Anspruch an einen stilvollen Abgang gelingt es ihm, sich für den Tag des Rücktrittes noch einmal zu mobilisieren. Wobei die Mobilisierung vielmehr eine Stabilisierung gewesen sei. Eine kraftraubende zudem. Er verhehlt nicht, dass er kurz darauf erst mal ins Bodenlose gefallen ist, als er seine Existenz aufgab, »ohne Ahnung, was morgen passiert«. Also habe er versucht, den Kopf anzuschalten und das Herz aus. Funktioniert hat das nur mäßig, gibt er zu. »Aber den Versuch war es wert.«
Der Politiker hat keine Erklärung gefunden für das Verhalten seiner Genossen, das er bis heute als die schlimmste Enttäuschung seines Lebens bezeichnet. Der Rammbock der öffentlichen Kritik sei er gewesen, längst am Boden, als so mancher ihn noch mit Füßen getreten habe, der bis dahin Freund oder gar Günstling war. Das kann der Lutheraner in ihm nicht verzeihen.
Zu Helga ist er gegangen, der treuen Seele, in der Stunde der Not, nach der gefassten Verabschiedung im überfüllten Saal der Bundespressekonferenz in Bonn. Der Spiegel berichtete schon einen Tag vorher von seinem Aus, gestützt auf eine Indiskretion, die aus dem eigenen Haus kam. Wenigstens diesen Rest der Selbstbestimmung hätte man ihm noch lassen können, sagt er unversöhnlich. Bis morgens um sieben haben sie getrunken, er und seine Freunde. Dann seien sie zum Frühstück in die nächste Kneipe gezogen.
Bis er die Befreiung spürte, hat es noch eine Zeit gedauert. Er ist ins Hessische gefahren zu einem Freund, in dessen abgeschiedenes Forsthaus. Der hat drei Tage lang Leute eingeladen und allen verboten, über Politik zu sprechen. »Er hat mich über die Runden gebracht.« Irgendwann setzte so etwas wie Erleichterung ein, nicht mehr in die Maschinerie zu müssen: »Die Chance auf ein zweites Leben.« Aber zwei Jahre lang begleiteten sie ihn dann doch, die Geister des Abschiedes, die Unsicherheiten des zweiten Lebens, die Fragen nach der Verlässlichkeit der unbekannten Realität. »Mindestens«, gibt er zu. Geholfen haben ihm seine Kumpels aus der Kunstszene, die ihn als Redner zu Ausstellungseröffnungen geladen und ihm somit Bedeutung gegeben haben, auch außerhalb der Funktion. Auf die Unterstützung seiner Sozis für ihren einstigen Helden wartete er Jahre vergeblich. »Die haben sich einen Dreck gekümmert.« Heute dreht er sich um, wenn er diesen Leuten begegnet.
Björn Engholm ist auch deshalb nie der Versuchung erlegen, zurückzukehren in die Politik, auch wenn er »unheimlich gern« Ministerpräsident gewesen ist. Aber es hat auch keinen ernstzunehmenden Antrag gegeben, von dem er sich hätte hinreißen lassen können, da ist er ganz ehrlich. Und eine Führungsaufgabe in der Wirtschaft zu übernehmen, wie viele seiner Kollegen, erschien ihm gänzlich absurd: »Da hätte ich mich auch wieder vor irgendeinen Karren spannen lassen müssen.« Als er nach seinem Ausscheiden aus der Politik einen umstrittenen Beratungsjob annahm – »als Baustein zum Aufbau einer neuen Existenz« –, empörten sich vor allem diejenigen, die seine vorherige beschädigt hatten. Das hat ihn kolossal geärgert. Er wollte frei sein. Also hat er sich eingerichtet mit einem exquisiten Weinkeller und »viel zu vielen Ehrenämtern«. Mit seinem Feuereifer für die Kultur, die in seinem Sinne nicht nur bildende Kunst, sondern auch Stil und Umgangsformen in der Gesellschaft meint.
Der Beinah-Kanzler genießt die Vorzüge des selbstbestimmten Lebens und die Freiheit, auch nein zu sagen. Nicht nur dann, wenn er in eine Talkshow gehen soll, für ein kleineres Honorar als ehemalige Kollegen. Das nagt so an ihm, dass er es ein zweites Mal erzählt, um dann ins Grundsätzliche überzuleiten, zu den machtpolitischen Zwängen: »Früher hätte ich überlegen müssen, wie viel Reichweite geht mir mit einer Absage verloren.« Überhaupt, heute kennen die Politiker allesamt die Reichweiten jedes Mediums auswendig. Aber er will nicht schimpfen, er ist kein notorischer Grantler und zur nachträglichen Glorifizierung mag er auch nicht neigen. »Wir hatten es früher leichter, Politik zu machen.«
Ob ihm denn so gar nichts fehlt aus der Zeit in machtvollen Positionen, frage ich ihn zum Abschluss, in Erwartung einer Absage an jede Form von Wehmut. »Doch, doch«, bekennt er sofort mit einem unausweichlichen Anflug von Bedauern: »Die Leute aus meinem Team, meine engsten Mitarbeiter, mit denen
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