Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
ich alles teilen und am Abend noch einen Wein trinken konnte.« Geselligkeit, die keiner Einladung bedarf, geteilte Krisen, zwanglose Bindungen. Auch das Büro, fügt er hinzu, der Briefverkehr wird ja nicht weniger, das sei schon manchmal lästig. Er habe überlegt, eine »patente Assistentin« einzustellen. Vielleicht später mal.
Manches nervt ihn auch daran, an Bedeutung verloren zu haben. Als dritter oder vierter in einer Diskussion das Rederecht zu bekommen, da ist es schwer, die Linie vorzugeben. Er ist eben ein »Bestimmer«, es tut ihm »ein bisschen weh, einer unter zehn zu sein«.
Oder wenn er sich bei der Landfrauen-Debatte vom amtierenden Ministerpräsidenten die Butter vom Brot nehmen lassen muss, weil der plötzlich auftaucht, »mit seiner Provinzfürstenattitüde«, dem Rang zufolge zuerst spricht und das Zelt für sich einnimmt. Da ist es dann schon schwieriger, ohne die Aura des Amtes, und »wenn man eher jemand ist, der nicht automatisiert über jeden Kopf streichelt«. Aber die Landfrauen waren dennoch begeistert.
Jetzt sprudelt es nur so aus ihm heraus. Ja, es hat sich natürlich alles extrem verändert. Am meisten vermisst er die Personenschützer, reizende Leute seien das gewesen. Besonders die Polizistin. Blond, adrett. Natürlich war sie immer in Zivil gekleidet, ganz fesch »und alle haben gesagt, guck mal an, der Engholm«. Na ja, aber für die Polizisten ist es wohl besser, jetzt wieder einem geregelten Dienst nachzugehen. Immer stundenlang auf ihn zu warten, vor dem Landtag oder bei irgendwelchen repräsentativen Terminen, das sei nun auch lästig gewesen. Wenn sie ihn vor Helgas Kneipe abgesetzt hatten, dann immerhin durften sie nach Hause fahren.
So, sagt er und bestellt den wirklich letzten Wein. »Jetzt erzählen Sie mir mal Ihre Geschichte.«
Die habe ich ihm inzwischen erzählt, in einer der folgenden Begegnungen. Zumindest den Teil, der bislang abgeschlossen ist. Aber sie gehen weiter, die Entwicklungen und Veränderungen. Meine und die jedes Einzelnen. Heute wird jeder der Gesprächspartner an einem anderen Persönlichkeitspunkt stehen als am Tag des größten Erfolges, an dem des Scheiterns, der Enttäuschung, dem der Loslösung, der Befreiung, oder einfach in der Begegnung mit sich selbst.
Hartmut Mehdorn ist schwer erreichbar in diesen Tagen. Er ringt nach Kräften um die Sanierung der Fluggesellschaft Air Berlin, die Turbulenzen sind noch stürmischer geworden. Verstärkt durch gravierende Patzer von anderen. Die verspätete Eröffnung des neuen Berliner Flughafens ist für sein Unternehmen eine Katastrophe. Wieder so eine verhängnisvolle Friktion, die seinen Auftrag torpediert. Er ist dennoch ungewohnt zurückhaltend mit seinen Schuldzuweisungen, für seine Verhältnisse zumindest. Auch wenn die Politik, die ihn als BahnChef so schnöde im Regen hat stehen lassen, diesmal selbst im Fokus der Kritik steht. Er will nicht als Revanchist gelten. Außerdem hat er mit seinem Auftrag genug zu tun. Das ursprünglich anberaumte Übergangsjahr ist lange vergangen, die Suche nach einem Nachfolger läuft. Für die Zeit nach Ablauf seines Vertrages Ende 2013. Die Gerüchte, der arabische Großaktionär fordere eine frühere Ablösung, schüttelt er scheinbar unbeeindruckt ab. Für die Lösung dieses diffizilen Dilemmas braucht es einen erfahrenen Mann am Steuer. Einen wie Hartmut Mehdorn, der früher als leichter Jungmann um die Deutsche Meisterschaft gerudert ist. Damals fuhr er im Zweier, angewiesen auf die Leistungsstärke des Partners. Sein Kampf um die Zukunft von Air Berlin ist eine One-Man-Show. Wie es ihm dabei geht, ob er den neuerlichen Auftrag trotz aller Widrigkeiten noch immer als Herausforderung ansieht, ob er froh ist über die Kompensation und die Chance, ein neues Zeichen zu setzen, ob ihn Zweifel umgeben, oder ob er sich insgeheim längst wünscht, endgültig zu seiner Frau und dem Bücherstapel heimzukehren, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Die kämpferisch-kauzige Standardantwort ist: »Es geht mir gut.« Frauenfragen nach Gefühlen sind in Zeiten der Krise noch weniger willkommen. Vielleicht gibt es jemanden, der hinter die Fassade schauen kann. Der ihn erreicht, in den seltenen Nischen, in denen er erreichbar ist, wie es sein ehemaliger Mitarbeiter formuliert, wenn er von den wenigen persönlichen Momenten während der siebenjährigen Zusammenarbeit spricht. »Blaue Stunde habe ich die Begegnungen genannt, in denen der Chef nicht Bahn-Chef, sondern einfach
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