Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
auf Menschen zugehen, die ihr im persönlichen Kontakt immer sagen, dass sie ganz anders sei, als sie gedacht hätten. Sie hadert kurz mit der Einprägsamkeit medial gesetzter Bilder. »Es gab tausende freundliche Fotos von mir, aber zur Illustration des Lügnerinnen-Bildes wurden nur solche mit verzerrtem Gesichtsausdruck benutzt. Oder solche, die mich allein zeigten, obwohl der Saal voll war.« Sie winkt ab und möchte aufhören, sich daran zu frustrieren. Bestimmt ist das ein wichtiger Schritt. Sie kann gut leben ohne ihr Foto in der Zeitung. Und auch ohne Macht, auch wenn das so oft und auf bösartige Weise angezweifelt wurde. Machtsymbolik sei sowieso nichts für Frauen, zumindest nicht in ihrer klassischen Form. Geschichten von Politikern und Managern, die nach dem Ausscheiden unfähig sind, ihren Lebensalltag zu gestalten, quittiert sie mit einem sanften Lächeln. Eine Familie neben dem Spitzenamt zu organisieren, ist eben noch mal eine andere Aufgabe. Auch wenn sie sich oft zerrissen gefühlt hat, in der Abwägung der Prioritäten und den mitunter so gegensätzlichen Anforderungen. In einem Moment durchsetzungsstarke Politikerin sein und im nächsten behutsame Mutter, dieser Wechsel sei manchmal etwas holprig gewesen, gibt sie zu. Mitunter habe sie auch eine häusliche Diskussion abgekürzt mit der unpädagogischen Entscheidungsbegründung: »Wir machen das jetzt so, weil ich deine Mutter bin.« Sie schmunzelt bei der Erinnerung an die seltenen familiären Auswüchse ihrer Überforderung. Das sei schon ein besonderes Thema für Frauen, dieses stetige Gefühl der Unvollkommenheit inmitten aller Ansprüche. Das ist jetzt natürlich alles wieder viel einfacher. Was sie vermisst aus der Zeit, als alles weniger einfach, aber dafür umso privilegierter war? Da antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: »Den Fahrer«, diesen treuen Mann, der morgens so verlässlich auf sie wartete und sie durch jedes Unwetter des Tages hindurch am Abend wieder in ihr Refugium brachte. Das sei so schön bequem gewesen.
Eine Randnotiz: Die vier Abtrünnigen haben allesamt keine politischen Ämter mehr inne.
Den Fahrer, diese unscheinbare, scheinbar meistgeschätzte Insignie der Macht, hat auch Wolfgang Berghofer vermisst, nachdem ihm sein Dresdner Oberbürgermeisteramt wegvereinigt wurde. Er musste lernen, wieder selbst Auto zu fahren. Das sei natürlich nicht allzu kompliziert gewesen, aber er habe auch solche erlebt, die sich damit nicht mehr arrangieren konnten. Womöglich auch wegen der Symbolik. Aber so rückwärtsgewandt ist er nicht. Es sei ihm nicht schwergefallen, plötzlich wieder als Wolfgang Berghofer auf Leute zugehen zu müssen, nachdem er jahrelang mehr Schauspieler war als Politiker. Immer nur Hebel zu bedienen hatte. Aber eine Umstellung ist es schon. Vor allem, weil es ihm ansonsten oft scheint, als bliebe die Uhr stehen, wenn man mal ein bedeutungsvolles Amt hatte. Im Osten vor allem, dort wird er noch immer in sein altes Format gedrängt. »Du bist unsere Hoffnung«, sagten die Leute damals. Die Hoffnung auf Freiheit. Er hat es den Mächtigen gesagt, 1989 in Davos, als Kohl und Modrow noch anderes vorzugeben versuchten: »Wenn das Kapital nicht zu uns kommt, gehen unsere Leute zum Kapital.« Er machte es seinem Volk dann vor.
Heute ist der studierte Historiker Vorsitzender eines Verbandes für berufliche Altersversorgung mit einem glanzlosen Büro am Märkischen Ufer in Berlin. Und arbeitet erfolgreich als Berater. Termine bekommt er auch dort, wo er vielleicht abblitzen würde, hätte er nicht den Stempel deutscher Geschichte auf seiner Visitenkarte. So hat eben alles seine guten und schlechten Seiten.
Er liest dann und wann öffentlich aus seiner Biographie »Meine Dresdner Jahre« und erinnert sich trotz allem gern an diese Zeit. Er sei nun mal ein Macher, und es gab eine Menge zu machen in der dahingammelnden sozialistischen Vorzeigestadt. Da habe er schon einiges geleistet. »Auch wenn es in ganz Dresden nur noch zwölf Dachdecker gab für Tausende marode Dächer. Und keine Ziegel.«
Irgendwann, Anfang der neunziger Jahre, hatte er einen kleinen Rückfall: »Da habe ich manchmal nachgedacht, wie es wäre, dieses Amt noch mal zu haben, mit ganz anderen ökonomischen Möglichkeiten.« Aber nein, bremst er sich schnell, die Demokratie treibe auch absurde Blüten, diese »ständigen Debatten um des Kaisers Bart«, die seien nichts mehr für ihn.
Peter Kabel möchte gerne wieder einsteigen, auch
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