Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
anders aus. Seine ganz persönlichen Mitbringsel aus der Zeit der Stadtregentschaft sind vor allem Begegnungen mit Menschen. Beeindruckende Leute hat er kennengelernt, Mario Adorf, einen seiner Helden, den er vorher nur aus dem Fernsehen kannte. Einige Hollywoodstars und auch Könige, die allesamt ganz normal sind. Nur die Entourage mache großes Bohai. Mit Königin Silvia von Schweden tauschte er Kochrezepte aus, schwedisch gekocht hat er bisher jedoch nie. Freundschaften, resümiert er, sind dabei keine geblieben. »Die habe ich aber auch nicht gesucht.« Und auch wenn er die Monarchin nett fand und die Begegnung überraschend tief, lebt es sich auch gut ohne gekrönte Häupter.
Auch dieses Gefühl teilt er mit seinem Freund Roland Koch, den gleichfalls keine Rückkehrsehnsucht zu plagen scheint. Die Menschen, ja, die seien ein absoluter Gewinn seiner Ministerpräsidentenzeit gewesen. Dem Dalai Lama wäre er sonst wohl nie begegnet und auch nicht Udo Jürgens. Diese Freundschaften und Bekanntschaften und die unzähligen Reisen durch die ganze Welt haben seinen Lebenshorizont erweitert. Jetzt ist er meistens in Mannheim, das ist auch in Ordnung. Er hat sich neue Lebenskreise erschlossen, ein bisschen befreit aus den Fesseln seines Images. Und von der permanenten Präsenz eifriger Personenschützer. Der einstige zukünftige Kanzler ist dankbar für die »Unabhängigkeit seines Egos« und dafür, dass er als Mensch Respekt genießt, auch ohne glamouröses Amt. Was er aber immer wieder feststellt, ist, dass die Menschen viel überraschter seien als er selbst über die Leichtigkeit, mit der ihm der Ausstieg gelungen ist. Er hat sich auch diesmal auf sich verlassen können.
Ein Ausstieg aus der Politik ist für seine Hessenduellantin Andrea Ypsilanti noch nicht denkbar, auch wenn sie weiterhin fremdelt mit ihrer Partei, die ihre Ankündigung, 2013 wieder als Abgeordnete für den Bundestag zu kandidieren, spärlich und bestenfalls höflich kommentierte. Eine tragende Rolle spielt sie nicht mehr, dazu gibt es zu viele, die sich von ihr abgewandt haben. »Ich polarisiere nach wie vor, spalte Versammlungen«, sagt sie irritiert über beide Extrempositionen. Aber sie mischt wieder mit. Gestärkt von Entwicklungen, die ihrer Programmatik entsprechen, hat sie gemeinsam mit der Vorsitzenden der Linken, Katja Kipping, das »Institut Solidarische Moderne« gegründet, eine Plattform für linksideologische Positionen.
Sie ist vorsichtiger geworden in der Begegnung mit Menschen und kritischer mit ihrem Bauchgefühl. Wenn sie jetzt in Fernsehsendungen auftritt, erkennt man eine zaghafte Souveränität beim Verhandeln ihrer Geschichte und gegenüber inquisitorischen Moderatoren. Sie hat gearbeitet an sich und Tag für Tag ein bisschen Abstand gefunden, auch wenn noch nicht alles wieder gut ist. Manchmal, und ganz insgeheim, wünscht sie sich noch immer ein anderes Leben, vielleicht irgendwo auf einem Ökohof. Da lacht sie über sich selbst, dieses kurze, wie ein Aufschrei wirkende laute Lachen. Ob sie noch mal plant, zurückzukehren in die erste Reihe? Dafür ist die Zeit wohl noch nicht reif. Und dass irgendwann ihre Geschichte noch mal neu geschrieben wird, das kann sie sich nicht vorstellen. »Wer hat denn schon ein Interesse daran?« Aber vielleicht verstehen inzwischen ein paar Menschen, wie unverhältnismäßig hart mit ihr umgegangen wurde. Das wäre doch schon mal was. »Ich war Projektionsfläche für vieles: neuer Politikstil, neuer Führungsstil, die Gender-Sache, die Linke …«, allesamt Themen, deren Skandalisierungspotential inzwischen überschaubar geworden ist. Sie kann das jetzt besser einordnen, einen intellektuellen Zugang finden. Aber dass sie ihrer Familie noch mal zumuten würde, so sehr im Fokus zu stehen, das glaubt sie nicht. Dazu ist sie zu sehr gebranntes Kind, und es brauchte zu lange, »das Pendel wieder in einen einigermaßen eingeschwungenen Zustand zu bringen«. Sie hat neue Bindungen gewonnen nach dem Einschnitt. Solche, die sich in Kenntnis ihrer Geschichte entwickelt haben und damit belastbar sind. Vor allem aber an Bindungsqualität zu denjenigen, »die mit mir durch diese Situation gegangen sind«. Das sind nicht allzu viele gewesen, und manchmal trauert sie noch um die, die sie verloren hat. Auch weil solche dabei waren, von denen sie anderes erwartet hatte. Da meldet sich wieder das Grummeln mit dem eigenen Bauchgefühl. Sie will offen bleiben, ruft sie sich zur Ordnung. Und auch weiterhin
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