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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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uns während der Zeit des Führerscheinerwerbs große Mühe bereitet hat. Wie waren wir doch seinerzeit nach der Fahrstunde ermüdet, denn wir mussten auf alles bewusst achtgeben. Der Fahrlehrer gab uns Anweisungen, wir mussten die Verkehrszeichen und den Verkehr beachten, während wir gleichzeitig motorische Tätigkeiten durchzuführen hatten, die für uns ungewohnt waren (kuppeln, Gas geben, bremsen, lenken etc.). Heute lenken wir unser Fahrzeug mehr oder weniger automatisch. Wir bemerken überhaupt nicht mehr bewusst, dass wir Gänge einlegen, das Gaspedal betätigen und auf den Verkehr achten. Wir hören während des Autofahrens Musik, unterhalten uns mit den Mitfahrern oder telefonieren mit unserem Handy. Viele Tätigkeiten, die mit der Kontrolle und dem Lenken eines Fahrzeugs verbunden sind, sind bei uns hochgradig automatisiert, so dass wir mehr Möglichkeiten haben, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig durchzuführen.

    Abbildung 40: Schematische Darstellung der Befunde von Gopher und Donchin (1986). Auf der y-Achse ist die Leistung für Aufgabe 1 und auf der x-Achse die Leistung für Aufgabe 2 dargestellt. Die Quadrate 1 und 2 repräsentieren die hohen Leistungen der Aufgaben 1 und 2, wenn sie alleine durchgeführt werden. Quadrat 3 repräsentiert die Leistung für beide Aufgaben, wenn sie gleichzeitig mit gleicher Aufmerksamkeit durchgeführt werden. Man erkennt, dass die absoluten Leistungen für beide Aufgaben dann abnehmen.
    Im Hinblick auf das Thema dieses Kapitels ist demzufolge festzuhalten, dass die Wirkung des passiven Musikhörens durchaus im Rahmen der oben dargestellten Befunde und Interpretationen erklärt werden kann. Wir können daraus vorhersagen, welche Wirkung Hintergrundmusik auf Primärtätigkeiten haben kann. Eine wichtige Einflussgröße ist, wie viel Kontrollkapazität die Primäraufgabe und das Hören der Hintergrundmusik erfordert. Wenn die Primäraufgabe sehr viel Kontrollkapazität erfordert, dann kann einfach nicht mehr sehr viel an Kontrollkapazität auf das Hören und Analysieren der Hintergrundmusik verwendet werden. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass sich dann die Verarbeitung der Hintergrundmusik störend und leistungsbeeinträchtigend auf die Primärtätigkeit auswirkt. Noch einmal zum Verständnis; Selbst wenn wir Musik passiv hören, verarbeitet unser Gehirn das Gehörte und benötigt dafür Verarbeitungskapazität. Außerdem ist zu bedenken, dass manche Musikelemente einen derart aufdringlichen (im positiven wie auch negativen Sinne) Charakter haben, dass es oft schwierig ist, sich den emotionalen, sprachlichen oder sonstigen Elementen der Musik zu entziehen.
    Bei einfachen Aufgaben können dagegen auch anspruchsvollere Musikstücke verarbeitet werden. Wichtig ist auch, dass sich in Abhängigkeit der notwendigen Kontrollkapazität, die für die Durchführung der Primäraufgabe aufgewendet werden muss, sich auch der «Hörzugang» ändern wird bzw. ändern muss. Je schwieriger die Primäraufgabeist, desto eher wird der «Hörzugang» für das Wahrnehmen der Hintergrundmusik zu einem «
diffusen Nebenbeihören»
wechseln (s. unten und Kap. 6 ). Zu bedenken ist auch, dass unsere kognitive Leistungsfähigkeit im Verlaufe eines Tages und in Abhängigkeit der Dauer der Beanspruchung erheblichen Schwankungen unterliegt. Die kognitive Leistungsfähigkeit nimmt z.B. während der Arbeit ab, um nach mehr oder weniger kurzen Pausen wieder zuzunehmen. Des Weiteren muss festgehalten werden, dass bezüglich der kognitiven Beanspruchung teilweise erhebliche Leistungsunterschiede zwischen den Menschen existieren, so dass nicht alle Befunde ohne weiteres auf alle Menschen zu verallgemeinern sind. In diesem Sinne muss jeder seine eigenen Belastungsfähigkeiten herausfinden und daran überprüfen, wie oft und wann er Hintergrundmusik im Zusammenhang mit seiner Arbeit «verträgt».
    Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die Wirkung von passivem Musikhören auf Rechen-, Lese- und Lernleistungen insbesondere bei Erwachsenen nicht eindeutig beschrieben werden kann. Offenbar hängt die Wirkung des passiven Musikhörens nicht nur von der gehörten Musik ab, sondern auch von einer Reihe anderer Faktoren wie Musikbildung, Erfahrung mit passivem Hören während des Lernens, Entspannung und emotionaler Wirkung der Musik.

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