Macht Musik schlau?
Informationsquelle der Gedächtnisstruktur, nämlich dem Kontext. Darunter werden Informationen zusammengefasst, die etwas unspezifischer sind alsdie Hinweisreize. Dies können die beim Lernen aktuell vorherrschenden Stimmungen und sozialen Beziehungen sein. Diese Informationen sind wie die Hinweisinformationen mit den Repräsentationen der Kerninformation (hier Vokabeln) gekoppelt. Das Bemerkenswerte dieser Gedächtnisstruktur mit den vielfältigen Querverbindungen ist, dass die Gedächtnisstärke der Kerninformation (also die Erinnerungsfähigkeit) davon abhängt, wie viele Hinweis- und Kontextinformationen sowie weitere Kerninformationen damit gekoppelt sind. Bezogen auf unser Beispiel des Vokabellernens bedeutet dies, je mehr Hinweisreize, weitere Kerninformationen und Kontextinformationen mit der zu lernenden Vokabel gekoppelt sind, desto besser kann ich mich an diese Vokabel erinnern.
Abbildung 41: Schematische Darstellung des kontextabhängigen Gedächtnisses. Man erkennt drei Teile des Gedächtnisses (Cues [Hinweisreize], Repräsentationen, Kontext). Diese Teile sind miteinander verknüpft. Je nach Stärke und Verknüpfungsgrad dieser drei Gedächtnisteile variiert die Gedächtnisstärke der «Repräsentationen» für das zu lernende Material.
Der Einfluss bzw. die Wirkung von Musik auf Gedächtnisleistungen kann sehr gut mit diesem Modell erklärt werden. Musik im Allgemeinen oder bestimmte Musikstücke können als Hinweisreize oder auch als Kontextinformationen wirken, die mit den zu lernenden Informationen (den Repräsentationen der Kerninformationen) gekoppelt werden. Das bedeutet, dass Musikinformationen, wenn sie mit den Kerninformationen gekoppelt sind, durchaus geeignet sind, den Abruf der Kerninformationen zu verbessern. Dies ist in der Tat auch durch sehr gute Experimente belegt worden. Ein sehr aussagekräftiges Experiment ist von William Balch und Kollegen von der
Pennsylvania State University
veröffentlicht worden (Balch, Bowman und Mohler, 1992). Es existieren jedoch auch noch weitere Experimente, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen. Die Autoren haben drei sorgfältig geplante und durchgeführte Experimente mit insgesamt über 300 Versuchspersonen durchgeführt. Diese waren angehalten, unter kontrollierten Bedingungen Wortlisten zu lernen. Die Ãberprüfung des Lernerfolgs erfolgte entweder unmittelbar nach dem Lernen (unmittelbarer Abruf) oder zwei Tage später (verzögerter Abruf). In einem dieser drei Experimente haben die Wissenschaftler während des Lernens und Abrufens Musik dargeboten. Die Kollegen haben aber die Musikpräsentation raffiniert gestaltet. Sie wählten drei Bedingungen. In einer Bedingung hörten die Versuchspersonen beim Abruf die gleiche Musik wie beim Lernen, und in einer anderen hörten sie beim Abruf eine andere Musik als beim Lernen. Die Versuchspersonen der dritten Bedingung hörten weder beim Lernen noch beim Abruf Musik. Neben diesen Versuchsbedingungen haben die Kollegen auch noch unterschiedliche Musik verwendet. Insgesamt haben sie vier Musikvarianten von Instrumentalmusik gewählt: Langsame Jazzmusik (eine Instrumentalversion von «How Long Has This Been Going On» von Fox, Worth und Cowan),schnelle Jazzmusik («Sing, Sing, Sing»von Benny Goodman), langsame klassische Musik (Klarinetten-Quintett in A-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart) und schnelle klassische Musik (Die «Teufelstrillersonate» von Giuseppe Tartini). Zunächst einmal stellte sich heraus, dass die unterschiedlichen Musikstücke die Lernleistungen mehr oder weniger gleich beeinflussten. Viel einflussreicher war hingegen, ob beim Lernen und beim Abruf die gleiche Musik vorgespielt wurde. Wurde beim Lernen wie auch beim Abruf die gleiche Musik vorgespielt (egal welche), waren die Gedächtnisleistungen besser, als wenn beim Lernen und Abruf unterschiedliche Musik präsentiert wurde. Dieser Befund kann im Rahmen des oben dargestellten kontextabhängigen Gedächtnismodells erklärt werden. Die Musik, die beim Lernen gehört wird, wirkt als Hinweisreiz für die gelernten Wörter. Das bedeutet, dass beim Abruf immer dann bessere Leistungen erbracht werden, wenn beim Abruf die gleichen Hinweisreize vorliegen wie beim Lernen (s. Abb. 42 bis 44 ).
Da die unterschiedlichen Musikgenres keine unterschiedliche Wirkung auf die Behaltensleistung entfalten, kann man auch die
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