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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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besonders gut. Diese enge Kopplung zwischen dem reinen Darbietungseffekt und der gesteigerten Erinnerungsfähigkeit für bereits bekannte Musik kann allerdings auch eindrücklich auseinanderbrechen, wenn wichtige Hirngebiete, welche für das bewusste oder unbewusste Gedächtnis von großer Bedeutung sind (z.B. der Hippokampus, Temporallappenund die Amygdala 39 ), als Folge von Hirnschäden ausgefallen sind. Bei Verletzungen oder Störungen im Hippokampus, der Amygdalae und im linksseitigen Temporallappen nimmt die Erinnerungsfähigkeit an die wiederholt dargebotenen Musikstücke ab, während der reine Darbietungseffekt noch vollständig erhalten bleibt. Bei einer Verletzung oder Störung im rechtsseitigen Temporallappen verschwindet neben der gesteigerten Erinnerungsfähigkeit an mehrfach gehörte Musikstücke auch der reine Darbietungseffekt (Samson und Peretz, 2005).
    Interessant ist auch, dass bei älteren Personen der reine Darbietungseffekt trotz abnehmender bewusster Erinnerung an die Musikstücke erhalten bleibt. Auch bei Alzheimer- und Korsakow-Patienten, die unter einem starken Verlust ihres bewussten Gedächtnisses leiden, kann trotz Verlust der Erinnerung an die präsentierten Musikstücke noch der reine Darbietungseffekt nachgewiesen werden (Halpern und O’Connor, 2000). Das bedeutet, dass Musikerinnerung und emotionale Musikpräferenz durch unterschiedliche Gedächtnissysteme kontrolliert werden. Die Erinnerung an die jeweiligen Musikstücke wird wahrscheinlich durch ein bewusstes Gedächtnissystem kontrolliert (wir nennen dies das explizite Gedächtnis), während die emotionale Musikbewertung durch ein unbewusstes (wir nennen es implizites) Gedächtnissystem kontrolliert wird. Bei älteren Menschen mit Depressionen kann allerdings kein
mere exposure effect
bei gleichzeitig erhaltener Erinnerungsfähigkeit an Musikstücke festgestellt werden. Depressive Menschen bleiben offenbar in ihrem «pessimistischen» Denkstil verhaftet, so dass sie keine emotionale «Auffrischungen» durch den reinen Darbietungseffekt erfahren können. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob hier bei häufiger Wiederholung auch bei Depressiven der reine Darbietungseffekt doch noch ausgelöst werden könnte. Dazu sind jedoch noch einige Studien notwendig. Wenn dies gelänge, wäre dies eine interessante und durchaus elegante Alternative zu den herkömmlichen Therapien, welche derzeit im Zusammenhang mit der Depressionstherapie angeboten werden.
    Die in diesem Abschnitt dargestellten Befunde belegen eindrücklich, wie bei uns Musikpräferenzen durch unbewusstes Lernen beeinflusst werden. Auf diese Art und Weise kann für ein ganzes Musikrepertoire unbewusst eine Präferenz aufgebaut werden. Wahrscheinlich sind auch kurze unbewusste Lernprozesse damit erklärbar, was mir letztlich bei einer Autofahrt mit meiner Familie eindrücklich gewahr wurde. Meinjüngerer Sohn wählte ein bestimmtes Musikstück im eingebauten MP3-Player unseres Fahrzeugs, gegen das ich mich vehement wehrte, weil ich diese Musik eigentlich abscheulich finde. Er konnte sich allerdings durchsetzen, und nachdem die Musik einige Minuten gelaufen war, fand ich sie gar nicht mehr so schlimm, und ich habe mir dann auch die gesamte CD angehört.
    6.3
    Heute «hü» morgen «hott» – wechselnde emotionale Musikwirkungen
    Wie bereits erwähnt sind die emotionalen Wirkungen von Musik eindrücklich und für jeden ersichtlich. Allerdings sind diese emotionalen Reaktionen keineswegs konstant und variieren erheblich nicht nur zwischen unterschiedlichen Personen, sondern sind auch bei ein und derselben Person sehr unterschiedlich. Die Gründe für die enorme Variabilität der emotionalen Wirkung von Musik sollen im Folgenden etwas detaillierter besprochen werden. Obwohl die empirische Erforschung dieser Phänomene noch nicht weit fortgeschritten ist (und im Wesentlichen auf Befragungsstudien beruht), sollen hier einige wichtige Aspekte dargestellt werden, die einen Einfluss auf die emotionale Musikwirkung ausüben können. Dies sind im Einzelnen:
    â–     Aktivitäten beim Musikhören
    â–     aktuelle Stimmungslage des Hörenden
    â–     Persönlichkeitsmerkmale des Hörenden
    â–     vorübergehende Schwankungen der Anforderungen an die Musik
    â–     lebenszeitliche

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