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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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Er ließ sich sogar den Begriff «Mozart-Effekt» patentieren. Campbell behauptet, er habe durch Summen, Beten und die Selbst-Suggestion von einer vibrierenden Hand an der rechten Seite seines Schädels ein Blutgerinnsel in seinem Gehirn verschwinden lassen. Unkritische Anhänger der alternativen Medizin hinterfragen seine Behauptung nicht einmal, zumal es sowieso eine dieser wohlfeilen Behauptungen ist, die weder bewiesen noch widerlegt werden können. Er könnte genauso gut behaupten, die Engel hätten sein Blutgerinnsel entfernt. Man fragt sich allerdings: Wenn Musik so gesundheitsfördernd ist – warum hat er dann überhaupt erst ein Blutgerinnsel entwickelt? Hat er vielleicht versehentlich Rap gehört? Auch die Politik hat sich dieses Themas eifrig angenommen. So haben die Gouverneure der US-Staaten Tennessee und Georgia Programme gestartet, mit deren Hilfe jedes Neugeborene eine Mozart-CD erhält. Hunderte von Krankenhäusern wurden im Mai 1999 von der National Academy of Recording Arts and Sciences Foundation mit kostenlosen CDs mit klassischer Musik beschenkt. Das sind gut gemeinte Gesten – aber basieren sie tatsächlich auf stichhaltigen Forschungsbeweisen, die dafür sprechen, dass klassische Musik die Intelligenz eines Kindes oder den Heilungsprozess eines Erwachsenen ankurbelt?
    2.3
    Replikationsversuche
    Ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern, wie ich 1995 bei meinem Freund und Kollegen Gottfried Schlaug am Beth Israel Hospital an der Harvard Medical School weilte und wir über den Mozart-Effekt diskutierten. Wir waren fasziniert, da wir selbst gerade heftig mit der Gestaltung von Musikexperimenten beschäftigt waren. Wir versuchten dann, wie wahrscheinlich viele Kollegen weltweit, ähnliche Versuche zu gestalten. Hierbei haben wir dann für unsere Planungen nicht auf die in den ursprünglichen Untersuchungen von Rauscher und Kollegen genutzten Papierfaltetests zurückgegriffen, sondern andere Tests genutzt, die in vielen psychometrischen Untersuchungen typischerweise mit grundlegenden räumlichen Funktionen in Verbindung gebracht werden. So haben wir mit dem mentalen Rotationstest und dem berühmten Blockdesign-Test aus dem Wechsler-Intelligenztest gearbeitet. Allerdingshaben wir die Versuche von Rauscher und Shaw nie exakt reproduziert, sondern uns eher Gedanken darüber gemacht, ob Musiker grundsätzlich bessere oder einfach anders organisierte räumliche Fertigkeiten besitzen (auf diese Befunde werde ich in den folgenden Kapiteln noch eingehen).
    Der Königsweg innerhalb der experimentellen Wissenschaften, um einen Effekt zu bestätigen, ist die Wiederholung der Experimente, um zu überprüfen, ob bei der Versuchswiederholung die gleichen Ergebnisse erzielt werden. Solche Replikationen können mittels unterschiedlicher methodischer Ansätze bewerkstelligt werden. Diese Replikationen müssen dann miteinander verglichen und zusammengefasst werden. Diese Zusammenfassung erfolgt im Rahmen von so genannten Metaanalysen. Wichtig hierbei ist, dass zwischen den Autoren und Forschungsrichtungen keine direkten Beziehungen im Hinblick auf die zu untersuchende Frage bestehen. Das bedeutet, dass die Arbeiten angefertigt wurden, ohne dass es das Ziel war, sie jemals in einer Metaanalyse weiter zu verarbeiten. Im Rahmen einer anderen Strategie, die als Multicenter-Studie bezeichnet wird, schließen sich verschiedene Forschergruppen zusammen, entwickeln die gleiche Fragestellung und untersuchen gemäß einem gemeinsam entwickelten Versuchsplan simultan an unterschiedlichen Orten das interessierende Phänomen. Im Hinblick auf den Mozart-Effekt wurden 1999 die Ergebnisse von beiden Replikationenstypen in der Zeitschrift
Nature
publiziert (Chabris, 1999; Steele et al., 1999).
    Jeder Forschungsansatz hat seine Schwächen und Stärken, die insbesondere bei psychologischen und pädagogischen Experimenten besonders stark zum Tragen kommen. Bei der Metaanalyse besteht die Gefahr, dass man Arbeiten unterschiedlicher Qualität kombiniert. Das ist durchaus problematisch, denn nicht immer ist aus den Publikationen die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit ablesbar. So besteht die Möglichkeit, dass die Experimente unter ungünstigen oder günstigen Bedingungen (Tageszeit, Ernährungszustand, unterschiedliche Laborausstattung etc.) durchgeführt wurden, die Versuchspersonen sich hinsichtlich nicht kontrollierter

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