Macht Musik schlau?
solcheBewegungshierarchien zu optimieren. Das macht das Gehirn nicht so nebenbei, denn wenn wir alles behalten und optimieren würden, was wir so nebenbei lernen, wäre unser Gehirn völlig überlastet und hätte vor allem alles Mögliche (auch das, was wir überhaupt nicht wirklich benötigen) gespeichert. Die Fertigkeiten, die wir wirklich beherrschen müssen, müssen wir uns (teilweise mühsam) aneignen und uns quasi einverleiben und zu unserem Besitz werden lassen. Lernen ist somit ein mühevoller und intensiver Weg, sich Brauchbares und Notwendiges anzueignen und Unnützes zu vergessen. Wie auch immer, das Gehirn (bzw. die spezifischen Hirngebiete) lernt nun, durch intensives Ãben den Kontrollaufwand für die vielen kleinen Teilbewegungen zu reduzieren. So kontrolliert ein Anfänger, der Klavierspielen lernt, jeden einzelnen Finger mehr oder weniger bewusst. Jede Fingerbewegung erfordert ein separates Kommando. Eine geordnete Folge von Fingerbewegungen würde dann anfänglich mehrere Kommandos und recht viel Kontrollkapazität benötigen. Ich habe in Kapitel 5 bereits darauf hingewiesen, dass unser Gehirn nur über eine beschränkte (also endliche) Kontrollkapazität verfügt. Wenn die Kontrolle der Handlung viel Kapazität benötigt, können wir also nicht viele andere Tätigkeiten gleichzeitig ausführen. Durch das Ãben erlangt der Musiker zunehmend die Fähigkeit die Teilbewegungen zu automatisieren, so dass er mehr Kontrollkapazität für andere Tätigkeiten zur Verfügung hat. Stellen Sie sich einen geübten Klavierspieler vor, der eine Reihe von motorischen Abläufen automatisch beherrscht und damit Klavierläufe ohne Anstrengung (eben automatisch) spielen kann. Während er diese Tastenläufe spielt, kann er Anweisungen geben, sich mit seinem Kollegen unterhalten oder einfach das Orchester betrachten. Gelegentlich mag er auch an etwas Musikfremdes denken (z.B. an das schöne Abendessen, das er nach seinem Konzert genieÃen wird). Dieses Grundprinzip der Automatisierung ist ein wesentliches Kontrollprinzip, welches im Zuge des motorischen Lernens für das Bedienen von Musikinstrumenten immer wichtiger wird. Mit zunehmender Automatisierung kann der Musizierende sich auf den Musikinhalt (z.B. emotional) konzentrieren und auch schon vorwegnehmen, welche Passagen noch folgen werden. Das bedeutet, dass die Planung der kommenden Handlungen immer weitreichender und wichtiger wird. Ein weiteres wichtiges Resultat von intensivem motorischen Training ist, dass verschiedene Teilbewegungen, die eigentlich durch separate Kommandos kontrolliert werden, im Zuge des Lernens zu einer übergeordneten Bewegung zusammengefasst werden. Dies führt dazu,dass eine kleinere Bewegungssequenz dann nur noch durch ein Kommando abgerufen werden kann. Die einzelnen «Unterbewegungen» werden automatisiert und zu einer Bewegungsgruppe zusammengefasst. Der Prozess des Automatisierens von motorischen Handlungen wird im Gehirn durch eine Verlagerung der an der Kontrolle beteiligten Hirngebiete von lateral (seitlich) nach mesial (zur Mitte hin) bewerkstelligt. Während am Beginn des Musizierens noch die seitlichen Areale des Stirnhirns aktiv sind, verlagert sich mit zunehmender Ãbung und Automatisierung der Bewegung die motorische Kontrolle in supplementärmotorische Areale, in Hirngebiete am basalen «Boden» des Gehirns (die Basalganglien) und in das Kleinhirn (s. Abb. 54 ).
Das ist ein recht geschickter «Schachzug» des Gehirns, denn die Hirngebiete im seitlichen Stirnhirn, die zu Beginn des motorischen Lernens an der Kontrolle beteiligt sind, sind nicht nur für motorische Lernprozesse, sondern auch für andere wichtige Funktionen von Bedeutung. Typische Funktionen sind z.B. die Kontrolle der Aufmerksamkeit, des Arbeitsgedächtnisses, der Motivation und sprachlicher Aspekte. Das bedeutet, dass mit zunehmendem Erfolg des motorischen Lernens diese wichtigen Hirngebiete von motorischen Kontrollaufgaben befreit werden und wieder uneingeschränkt für andere Funktionen (z.B. Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und Motivation) genutzt werden können. 50 Dieser Verlagerungsprozess von lateral nach mesial läuft stufenförmig ab. Jede Schwierigkeitsebene des motorischen Lernens ist mit einer Zusammenfassung von Teilbewegungen und entsprechenden Automatisierungen verbunden. Beherrscht man motorische Aktionen einer
Weitere Kostenlose Bücher