Macht Musik schlau?
Hirngebiet (und die von diesem Hirngebiet kontrollierte Sequenzierungsleistung) durch das Musizieren trainieren und eventuell optimieren. Durch diese Optimierung können sie möglicherweise diese Funktionen effizienter für andere, nicht musikbezogene Tätigkeiten nutzen. Trotz der offensichtlichen Plausibilität dieser Argumentation konnte dieser Transfereffekt bisher nicht wissenschaftlich belegt werden.
Abbildung 55: Schematische Darstellung des von Michael Corballis vorgeschlagenen General Assembly Device (GAD), das auf die Kontrolle von Sequenzierung spezialisiert sein soll. Das Hirngebiet soll in der linken Hemisphäre im mittleren Frontalkortex lokalisiert sein.
9.3
Gedächtnis
Wenn man mit einem Musikinstrument ein Musikstück übt, werden vielfältige Gedächtnisfunktionen benötigt. In diesem Zusammenhang ist es zunächst wichtig, darauf hinzuweisen, dass unser Gedächtnissystem grob in zwei Teilsysteme eingeteilt werden kann. Das eine Gedächtnissystem bezeichnen wir als prozedurales Gedächtnis; es speichert unbewusst Handlungsfolgen aber auch Sprachregeln und viele Assoziationen. Weil die Inhalte dieses Gedächtnissystems uns weitestgehend unbewusst sind, wird dieses Teilgedächtnis zum unbewussten oder impliziten Gedächtnis gezählt. Zum unbewussten Gedächtnis werden noch weitere Gedächtnissysteme (perzeptuelles Gedächtnis und Priming-Gedächtnis) gezählt, auf die ich in diesem Zusammenhang nicht detailliert eingehen kann. Neben dem prozeduralen Gedächtnis kann noch ein bewusstes (explizites) Gedächtnis unterschieden werden, das wiederum aus zwei Unterkomponenten besteht. Die eine Unterkomponente ist das so genannte episodische Gedächtnis, in dem Episoden aus unserem und dem Leben anderer gespeichert sind. Die andere Unterkomponente wird als semantisches Gedächtnis oder auch Faktengedächtnis bezeichnet. Hier werden Definitionen mit Bezügen zu anderen Definitionen und Fakten gespeichert. Im episodischen Gedächtnis dagegen werden Fakten mit Handlungen, Ereignissen, Bildern und Szenen gespeichert. Beide expliziten Gedächtnissysteme werden beim Musizieren beansprucht. Ein Musizierender muss z.B. das Notensystem lernen, das prinzipiell ähnliche Anforderungen an das Gehirn stellt, wie das Lesen- und Schreibenlernen. Es müssen Zeichen gelernt, wiedererkannt und mit Bedeutungen gekoppelt werden. Die einzelnen Zeichen werden zu Zeichenfolgen zusammengesetzt und mit verschiedenen Handlungen in Verbindung gebracht. Eine starke Gedächtnisbeanspruchung erfolgt durch das Lernen und Erinnern von Musikstücken inklusive des Kontextes, in dem sie gespielt werden. Man spielt die Musikstücke alleine und erinnert sich an die Anweisungen des Musiklehrers, seiner Mitspieler und unter Umständen auch an den Stolz und die Freude, wenn einem das Spiel geglückt ist. Ich könnte an dieser Stelle die Liste der Gedächtnisbeanspruchungen durch Musik schier endlos verlängern, aber dem Leser soll lediglich vor Augen geführt werden, dass viele explizite wie auch implizite Gedächtnisfunktionen beim Musizieren genutzt werden. Die beim Musizieren genutzten Gedächtnisfunktionen greifen auf Hirngebiete zurück, dieauch für die Kontrolle anderer Gedächtnisfunktionen von Bedeutung sind. So ist beim Lernen und beim Abrufen von musikalischen Informationen insbesondere das Stirnhirn genauso aktiv wie beim Lernen und Abrufen von verbalen Informationen. Neben dem Stirnhirn sind auch Hirngebiete im Schläfen- und Scheitellappen beim Abrufen und Lernen von Musikinformationen beteiligt. Trotz der offensichtlichen Ãberlappung der Hirngebiete, die am Lernen und Abrufen von musikalischen und sprachlichen Informationen beteiligt sind, gelten für das Musikgedächtnis einige Besonderheiten.
So scheinen insbesondere rechtsseitige Hirngebiete im Stirnhirn und Schläfenlappen am Musikgedächtnis beteiligt zu sein. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass die rechtsseitigen Hirngebiete ausschlieÃlich am Lernen und Abrufen von musikalischen Informationen beteiligt sind. Man muss vielmehr von einem Netzwerk ausgehen, das Hirngebiete beider Hemisphären mit einschlieÃt (Satoh, Takeda, Nagata, Shimosegawa und Kuzuhara, 2006). Hierbei scheinen die rechtsseitigen Netzwerke bei der Verarbeitung von einigen musikalischen Informationen etwas stärker beteiligt zu sein als die linksseitigen (Zatorre, Evans und Meyer, 1994).
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