Macht Musik schlau?
Musik produziert, ist in mehrerlei Hinsicht provokant. Zunächst einmal vermittelt diese Aussage, dass das Gehirn etwas Eigenständiges vom Menschen oder dem Selbst des Menschen Losgelöstes sei. Natürlich soll dieser Eindruck nicht erweckt werden. Wie im vorangegangenen Kapitel soll hier lediglich beschrieben werden, wo und wie im menschlichen Gehirn Musik «hergestellt» wird. Es wird also in diesem Kapitel eher der «produktive» Aspekt betont, während im vorangegangenen Kapitel eher der «perzeptive» Aspekt im Vordergrund stand. Ein weiterer, eher problematischer Aspekt dieser Aussage steckt in dem Wort «Produktion». Dahinter verbergen sich vielfältige Prozesse, die von der einfachen Betätigung von Musikinstrumenten, zur Vorstellung von Musik bis hin zum kreativen Prozess des Erfindens von Musik, dem Komponieren, reichen. Diese ganze Palette von Prozessen können wir derzeit nicht ohne Weiteres, teilweise auch überhaupt nicht mit der Neurophysiologie, Neuroanatomie und Neuropsychologie in Verbindung bringen. Es sind allerdings einige, zuweilen zaghafte Interpretationsmöglichkeiten erlaubt, die ich auch im Rahmen dieses Kapitels besprechen werde. Ich werde auf die motorischen Aspekte der Musikproduktion eingehen. Ich werde in diesem Zusammenhang nur allgemeine Funktionsprinzipien erläutern (für eine ausführliche Besprechung siehe Kap. 4 ). Man findet auch zusätzliche Informationen in dem empfehlenswerten Buch meiner Kollegen Eckart Altenmüller, Mario Wiesendanger und Jürg Kesselring (Altenmüller, Wiesendanger und Kesselring, 2006). Zu den kreativen Aspekten des Musikhörens können wir gegenwärtig nur wenig auf der Basis von seriösen Befunden mitteilen. Es sollten an dieser Stelle jedoch einige (zugegebenermaÃen spekulative) Gedanken erlaubt sein. Aber, wenden wir uns zunächst dem motorischen Teil der Musikproduktion zu.
Musizieren ist ein sehr komplexer Prozess, der das Betätigen und Bedienen von Musikinstrumenten in mehr oder weniger unnatürlichenKörperhaltungen beinhaltet. Man stelle sich nur die Körperhaltung und die Fingerbewegungen beim Geigenspiel vor, dann wird einem eindrücklich klar, was ich mit unnatürlicher Körperhaltung meine. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die Druckstellen an Kinn und Hals, welche man nicht selten bei Geigern und Geigerinnen beobachten kann. Auch die Hornhaut auf den Fingern ist ein typisches Zeichen intensiven Trainings, nicht selten gepaart mit Krämpfen in den Armen. Im schlimmsten Fall kann es sogar zum so genannten Musikerkrampf (fokale Dystonie) kommen, der nicht wenige Profimusiker quält und das Musizieren erschwert oder gar unmöglich macht. Wie auch immer, beim Musizieren müssen komplexe Handlungen erlernt und sinnvoll miteinander koordiniert werden, wobei diese Handlungen mit Rhythmen und Melodien gekoppelt sind, ja sie sogar erzeugen. Das bedeutet, dass die Motorik an zu erwartende Wahrnehmungen geknüpft und über einen längeren Zeitraum im Voraus geplant werden muss. Der Musizierende muss sich auÃerdem beim Ãben, aber auch bei der Aufführung über längere Zeiträume auf sein Instrument, das Musikstück und gegebenenfalls auf seine Mitspieler konzentrieren. Des Weiteren muss er das Musikstück kennen bzw. beherrschen und beim Lesen vom Blatt «verstehen». Das bedeutet, dass das Musizieren besondere Anforderungen an die motorische Kontrolle, die Planung und Sequenzierung, das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit stellt. All das setzt ein nicht unerhebliches Ausmaà von Selbstdisziplin voraus. Insgesamt sind dies mindestens fünf groÃe psychische Funktionsbereiche, die beim Musizieren effizient zusammenspielen müssen. Diesen Funktionsbereichen und den mit ihnen assoziierten Hirngebieten werde ich mich im Folgenden zuwenden.
9.1
Motorische Kontrolle
Beginnen wir mit den motorischen Anforderungen. Die Komplexität der geforderten Handlungen macht es notwendig, dass die Bewegungen hierarchisch organisiert sein müssen. Das bedeutet, dass der gesamte Bewegungsablauf in Gruppen von Teilbewegungen organisiert ist. Da existieren Teilbewegungen für kleine Bewegungssequenzen (z.B. einzelne Fingerbewegungen), gröÃere für ganze Klavierläufe bis hinauf zu komplexen Bewegungssequenzen, die über mehrere Minuten ablaufen können. Das Gehirn muss versuchen, den Kontrollaufwand für
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