Macht Musik schlau?
enthalten waren. Dieser «Abdruck» des vorgespielten Wortes war bei den Versuchspersonen mit Musikerfahrung besonders deutlich, während bei den Versuchspersonen ohne formales Musiktraining dieser elektrophysiologische «Abdruck» praktisch kaum aus dem EEG-Signal erschlossen werden konnte. Dieser elektrophysiologische «Abdruck» kann bestimmten Verarbeitungsstufen des Gehirns zugeordnet werden. Wir wissen, dass insbesondere Nervenzellen im Mittelhirn (Colliculi inferior) diese Reaktion bestimmen. Bezogen auf das hier dargestellte Experiment bedeutet dies, dass Personen mit und ohne langjährige Musikerfahrung bereits im Mittelhirn, also quasi auf einer der untersten Stufen der Verarbeitung von akustischen Reizen, Betonungsinformationen unterschiedlich verarbeiten. Diese Erkenntnis ist eigentlich eine Sensation und hat auch gleich in einer weiteren sehr angesehenen Zeitschrift einen euphorischen Kommentar nach sich gezogen (Patel und Iversen, 2007). Im Grunde genommen bedeutet dies, dass schon unbewusst auf untergeordneten Verarbeitungsstufen akustische Sprachinformationen je nach der Musikerfahrung unterschiedlich verarbeitet werden! Da dies dem Bewusstsein vorgeschaltete Verarbeitungsstufen sind, die hier wirksam sind, können musikalisch erfahrene Personen solche Analysen ohne kräftezehrende und ressourcenraubende psychische Prozesse durchführen. Man könnte auch sagen, dass diese Analysen «einfach passieren» und ihre Ergebnisse ohne Mühe vorhanden sind. Deshalb könnte es musikalisch erfahrenen Personen leichter fallen, Fremdsprachen zu verstehen.
In einer weiteren neuen Arbeit konnten Patrick Wong und seine Kollegen ihre Befunde aus dem hier dargestellten Experiment erhärten und belegen, dass auch handfeste praktische Konsequenzen mit diesem Vorteil verbunden sind. Sie haben amerikanischen Versuchspersonen sechs Logatome vorgespielt. Logatome sind eigentlich Unsinnswörter, also Wörter, die keinen Sinn in der jeweiligen Standardsprache ergeben (z.B. tatatas oder kakakas). Diese Wörter wurden den Versuchspersonen mit jeweils drei unterschiedlichen Betonungen dargeboten. Jedem dieser 18 akustischen Reize war eine bestimmte semantische Bedeutung zugeordnet. Die Versuchspersonen sollten diese Bedeutungen lernen. Ihnen wurden dieseWörter präsentiert, während gleichzeitig auf einem Bildschirm ein Bild des Objektes präsentiert wurde, das mit dem Wort zu assoziieren war. Zur Ãberprüfung, ob und wie viel die Versuchspersonen gelernt hatten, erfolgten in unterschiedlichen Abständen kurze Multiple-Choice-Tests. Im Grunde ist dies für einen Amerikaner, der von Geburt an Englisch spricht, eine schwierige Aufgabe, denn im Englischen haben Betonungen eher Bedeutung im Zusammenhang mit der Ãbermittelung von Gefühlen oder Hervorhebungen innerhalb eines Satzes. Die sachlichen Bedeutungen verschiedener Wörter werden im Englischen eigentlich nicht über Betonungsmuster vermittelt. Deshalb ist dies für einen Amerikaner eine ungemein schwere Aufgabe. Wie auch immer, es zeigte sich, dass einige Versuchspersonen sie einigermaÃen gut meisterten, während andere einfach nicht in der Lage waren, die Zuordnungen zu lernen. Es bildeten sich also zwei Gruppen heraus:
Lerner
und
Nichtlerner
. Interessant war, dass sich die Lerner und Nichtlerner auch durch ihre Musikerfahrung unterschieden, wobei die Lerner über deutlich mehr Musikerfahrung verfügten als die Nichtlerner. Insgesamt belegen diese Arbeiten eindrücklich, dass Musikerfahrung die Wahrnehmung von Betonungsmustern im Zusammenhang mit dem Lernen und Verstehen von Sprachen fördert.
Man mag nun zu Recht den Einwand erheben, dass man als Westeuropäer oder Amerikaner solche «merkwürdigen» Betonungsmuster nicht zwingend beherrschen muss. Insofern wäre das Ergebnis von Wong und Kollegen zwar interessant, aber praktisch eher nebensächlich. Allerdings werden gerade in den letzten zwei Jahren zunehmend interessante Arbeiten veröffentlicht, die belegen, dass auch beim Lernen und Verstehen europäischer Sprachen, ja selbst beim Lernen und Verstehen der eigenen Muttersprache, Musikerfahrung einen enormen Einfluss ausübt. Ich muss gestehen, dass mir die Tragweite dieser Befunde bis vor einigen Jahren nicht bewusst war; inzwischen drängt sie sich aber auch mir immer mehr auf.
Meine geschätzte Kollegin Mireille Besson und ihr Kollege Daniele Schön aus
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