Macht Musik schlau?
Stimmeinsatzzeiten genau analysieren. Diese genaue zeitliche Analyse wird im linksseitigen Hörkortex in einem ganz bestimmten Hirngebiet durchgeführt, dass wir als Planum temporale bezeichnen (Jäncke, Wüstenberg, Scheich und Heinze, 2002). Für die Analyse der Vokale müssen die wesentlichen Frequenzkomponenten erkannt werden. Jeder Vokal ist durch eine charakteristische Kombination von Grundtönen und Obertönen aufgebaut, etwa so wie bei komplexen Tönen, wie sie in der Musik gebräuchlich sind. Das Analysieren und Erkennen von Vokalen wird eher vom Hörkortex der rechten Hemisphäre bewerkstelligt. Man erkennt an diesem Beispiel, dass bei der Sprachwahrnehmung neuronale Netzwerke beider Hemisphären beteiligt sein müssen. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass beide Hemisphären ihren speziellen Beitrag zu den jeweiligen Wahrnehmungsprozessen leisten.
Durch einen experimentellen Trick kann man die jeweils spezialisierten Hirngebiete deutlicher erkennen. Ein typischer experimenteller Trick besteht darin, die Versuchspersonen beim Hören von Musik oder Sprache nur auf bestimmte Aspekte achten zu lassen. So könnte man z. B. beim Hören von Silben die Versuchspersonen einmal bitten, nur auf die Vokale oder die Konsonanten zu achten. Lenken die Versuchspersonen ihre Aufmerksamkeit auf die Konsonanten, sind die linksseitigen Hirngebiete stärker aktiv. Andererseits erkennt man rechtsdominante Aktivierungen, wenn die Versuchspersonen auf die Vokale achten. Ãhnliche Aktivierungsverschiebungen sind auch bei der Musikwahrnehmung feststellbar. Man kann z.B. auf das Metrum, also die zeitliche RegelmäÃigkeit der akustischen Stimulation achten und in einer anderen Versuchsbedingung eher auf die Melodie. Besonders interessant sind diese Versuchsbedingungen im Zusammenhang mit Untersuchungen, in denen die Wahrnehmung von Liedern untersucht wurde. Lieder haben sprachliche und musikalische Informationen, die simultan dargeboten werden. Je nachdem, auf welchen Aspekt des Liedes der Hörer achtet, werden bestimmte Hirngebiete stärker in die Verarbeitung miteinbezogen. Wichtigfür den vorliegenden Abschnitt ist allerdings, dass viele Hirngebiete für die Analyse von Musik- und Sprachinformationen gleichermaÃen eingesetzt werden. Es besteht daher die berechtigte Vermutung, dass für die Musik- und Sprachwahrnehmung ähnliche Funktionsmodule notwendig sind. Ein Beispiel dafür ist die Verarbeitung von Klangfarben. Die gleichen Areale im rechten Hörkortex verarbeiten Klangfarben sowohl von Musikinstrumenten als auch von menschlichen Stimmen. Im Folgenden werde ich auf die derzeit bekannten Zusammenhänge zwischen Musik und Sprache etwas detaillierter eingehen.
11.2
Von Tönen und Sprache
Kürzlich ist in der angesehenen Zeitschrift
Nature Neuroscience
eine bemerkenswerte Arbeit von Patrick Wong und Kollegen (Wong, Skoe, Russo, Dees und Kraus, 2007) erschienen. Sie haben untersucht, wie bei Versuchspersonen mit und ohne Musiktrainingserfahrung chinesische Sprachlaute 62 verarbeitet werden. Den Versuchspersonen wurden kurze chinesische Wörter mit unterschiedlichen lexikalischen Betonungen dargeboten. Jedes dieser Wörter hat je nach Betonung eine andere Bedeutung. Dies ist ein typisches Phänomen des Mandarin und anderer so genannt tonaler Sprachen, in denen gleich geschriebene Wörter je nach Betonung eine völlig andere Bedeutung haben. Man muss deshalb die Betonungsunterschiede schon gut erkennen, um auch die Bedeutung (also Semantik) des gesprochenen Wortes exakt nachvollziehen zu können. Die teilnehmenden Versuchspersonen hatten jedoch keine Erfahrungen mit der chinesischen Sprache. Deshalb konnten sie die Bedeutung überhaupt nicht erkennen. Es war auch gar nicht das Ziel dieses Versuches, das bewusste Erkennen der Wörter zu untersuchen, sondern es ging nur darum herauszufinden, wie das Hörsystem (eines durchschnittlichen Amerikaners) auf diese Betonungsveränderungen reagiert. Hierzu wurden diese Wörter vorgespielt, während die Versuchspersoneneinen Film sahen und sich demzufolge auf den Film konzentrierten. Gleichzeitig haben die Kollegen elektroenzephalographische Ableitungen (EEG) an der Kopfoberfläche durchgeführt. Aus dem EEG-Signal haben sie dann durch komplizierte mathematische Analysen zweifelsfrei erkennen können, dass die spektralen Eigenheiten des vorgespielten chinesischen Wortes quasi im EEG-Signal
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