Macht Musik schlau?
Musik französisch, deutsch oder englisch?
Ich weià nicht, wie es Ihnen ergeht, aber ich habe den Eindruck, dass manche Musik sehr stark auch der Klangfarbe der jeweiligen Nationalsprache ähnelt. Diesen Eindruck teilt auch der Neurowissenschaftler Arnirud Patel aus San Diego, der sich mit seinen Kollegen fragte, was an der Musik von Sir Edward Elgar (1857â1934) so «englisch» und an der Musik von Claude Debussy so «französisch» klingt (Patel, Iversen und Rosenberg, 2006). Nun, diese Fragen mögen den einen oder anderen Leser verwundern, aber vielleicht teilen manche von Ihnen diese Eindrücke. Weit hergeholt scheinen diese Fragen nicht zu sein, denn wie wir bereits gesehen haben, haben Musik und Sprache viele Teilelemente gemeinsam und werden auch durch überlappende Nervennetzwerke kontrolliert. Kann es nicht tatsächlich sein, dass die Eigenarten der Muttersprache, die wir in der Kindheit so intensiv gelernt haben und die wir im Erwachsenenalter beherrschen, im Zusammenhang mit unserem Musikgeschmack stehen? Kann es nicht auch sein, dass selbst die Komponisten beim Komponieren unbewusst ihre Erfahrung mit ihrer Muttersprache einflieÃen lassen? Das Team um Arnirud Patel hat sich dieser Frage mit einer eleganten Methode genähert. Sie haben markante akustische Kennwerte von englischen und französischen Sprachausschnitten gemessen. Konkret waren es die Vokaldauern und die Grundfrequenzen der Vokale. Wenn man mehrere Wörter oder Sätze nacheinander spricht, dann kann man auf diese Weise eine Abfolge von Vokaldauern und Grundfrequenzen für jede Silbe festhalten. Also wenn man zehn Silben nacheinander spricht, kommt man zu zehn aufeinanderfolgenden Vokaldauern und Grundfrequenzen für die Vokale. Analysiert man diese Abfolgen von akustischen Kennwerten für englische und deutsche Sätze, erkennt man, dass sich im Englischen die aufeinanderfolgenden Vokale im Hinblick auf Dauer und Grundfrequenz immer sehr stark voneinander unterscheiden. Das bedeutet, die Unterschiedlichkeit von Vokaldauer und Grundfrequenz ist im Englischen besonders groÃ. Anders ist es im Französischen. Dort ist die Variabilität dieser Kennwerte vergleichsweise kleiner. Die Franzosen sprechen gleichmäÃiger als die Engländer. Nun kommt der Querbezug, den Arnirud Patel und Kollegen zur Musik hergestellt haben. Sie haben mit einer Datenbank von Musikausschnitten von französischen und englischen Komponisten gearbeitet, die ihre Werke um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundertkomponierten. Für diese Ausschnitte haben sie die verschiedenen Intervalle bestimmt. Hierbei stellten sie fest, dass französische Komponisten in ihrer Musik eher eine geringere Variabilität für die aufeinanderfolgenden Intervalle wählten. Das bedeutet, dass sie häufiger gleiche und kleine Halbtonschritte wählten.
Dieses Muster spricht für einen Zusammenhang zwischen Sprach- und Musikmelodie und könnte darauf hinweisen, dass unsere Muttersprache die Vorliebe für Musik mitbestimmen könnte. Für Komponisten scheint dies sehr wahrscheinlich zu sein. Interessant wäre jetzt zu überprüfen, ob auch der Musiklaie seinen Musikgeschmack an seinen Sprachvorlieben ausrichtet. Vielleicht können wir dann besser verstehen, warum die einen oder anderen Musikstücke in einem Land zu Hits werden und im anderen Land Flops sind. So oder so belegt dieser Befund einmal mehr die enge Verzahnung von Sprache und Musik.
11.6
Musik und Lesen
Was hat Musik mit dem Lesen zu tun? Wahrscheinlich werden jetzt so manchem Deutschlehrer die Haare zu Berge stehen. Jetzt wird auch noch das Lesen â eine elementare visuelle Sprachfertigkeit â mit Musik und Musizieren in Verbindung gebracht! Eigentlich ist der Zusammenhang zwischen Musik und Lesen aufgrund der Erkenntnisse der kognitiven Psychologie sehr gut erklärbar. Die Verankerung der Schriftsprache findet in der Regel nie ohne Bezug zum Lautsystem statt. Das bedeutet, wenn wir Schriftsprache lernen, werden die Schriftzeichen (Grapheme) nie isoliert abgespeichert, sondern immer in ein Netzwerk eingebettet. Dieses Netzwerk besteht aus wichtigen Funktionsmodulen. Dies sind die Sprachlaute, die visuelle Wortform und die akustische Wortform. Diese Module werden dann an den Sprachschatz (das Lexikon) und das semantische Gedächtnis angekoppelt. Ãhnlich wie bereits im Zusammenhang mit der Abrufstruktur erwähnt, ist die
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