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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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«Normalisierungsprozess». In der Wahrnehmungsforschung nennen wir das Resultat dieses Prozesses auch Konstanzleistung. Ein bestimmter Sprachlaut muss auch in unterschiedlichen Kontexten noch erkannt werden. So wird ein Sprachlaut immer noch verstanden, unabhängig davon ob ein Kind, ein Mann oder eine Frau spricht. Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit haben innerhalb bestimmter Grenzen erstaunlich wenig Einfluss auf das Verständnis. Ähnliche Konstanzphänomene können auch bei der Musikwahrnehmung beobachtet werden. Die Melodie wird trotz unterschiedlicher Tempi, Lautstärken und genutzter Instrumente immer noch erstaunlich gut erkannt.
    Zumindest theoretisch könnte man einen engen Zusammenhang zwischen der Musikwahrnehmung und einem für die Sprachwahrnehmungsforschung wichtigen Konzept, nämlich der
phonologischen Bewusstheit
, annehmen. Was verstehen wir unter diesem Wortungetüm? Als
phonologische Bewusstheit
bezeichnet man die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf die formalen Eigenschaften der gesprochenen Sprache zu lenken. Typische Beispiele sind der Klang der Wörter beim Reimen, Wörter als Teile von Sätzen, Silben als Teile von Wörtern und schließlich die einzelnen Laute der gesprochenen Wörter. Die empirische Forschunghat zahlreiche Beweise hervorgebracht, welche die Bedeutung der
phonologischen Bewusstheit
für den Erwerb und die Aufrechterhaltung von Schreibkompetenzen belegen. Die
phonologische Bewusstheit
ist Teil eines übergeordneten Konzeptes, welches den Namen
phonologische Informationsverarbeitung
trägt. Damit ist die Verwendung von Informationen über die Lautstruktur der gesprochenen und geschriebenen Sprache gemeint. Im Folgenden habe ich drei wesentliche Merkmale der phonologischen Informationsverarbeitung aufgeführt:
    1.   Die Übertragung vorgegebener schriftlicher Symbole (Wörter, Bilder) in die entsprechende lautliche Struktur. Dies ist wichtig, um dann aus dem Langzeitgedächtnis ihre Bedeutung abrufen zu können. Man nennt diese Leistung auch phonologisches Umkodieren. Dieses phonologische Umkodieren ist beim Zugriff auf das semantische Lexikon hilfreich.
    2.   Behalten von Symbolen der geschriebenen Sprache im Arbeitsgedächtnis. Dies ist insbesondere für Leseanfänger wichtig, denn die Grapheme (Schriftzeichen) werden vorwiegend phonetisch im Arbeitsgedächtnis gespeichert. Wir nennen diese Leistung auch
phonologisches Kodieren
. Dies erkennen wir, wenn wir uns Telefonnummern merken. In der Regel merken wir uns die Nummern als Laute und wiederholen die Laute, indem wir uns diese leise vorsprechen. Dieser Vorgang wird durch gleichzeitig gehörte Phoneme erheblich gestört.
    3.   Phonologische Bewusstheit, also die Fähigkeit, die Lautstruktur der Sprache zu erkennen. Die phonologische Bewusstheit ist die für den Erfolg beim Lesen- und Schreibenlernen bedeutsamste Fertigkeit. Ihr Einfluss konnte in einer Reihe empirischer Studien in verschiedenen Ländern und bei verschiedenen Sprachen nachgewiesen werden.
    Besteht aber ein Zusammenhang zwischen
phonologischer Bewusstheit
und musikalischen Fertigkeiten? Oder noch genauer: Kann ein Zusammenhang zwischen
phonologischer Bewusstheit
, musikalischen Fertigkeiten und Leseleistungen durch «harte» empirische Fakten belegt oder zumindest unterstützt werden? In der Tat, 2002 hat eine Arbeitsgruppe an der
MacMaster University
in Hamilton, Kanada, eine sorgfältig durchgeführte Arbeit publiziert, in der sie genau dieser Frage nachgegangen ist (Anvari,Trainor, Woodside und Levy, 2002). Die Autoren haben bei 100 vier- bis fünfjährigen Kindern neben den Fähigkeiten der musikalischen Wahrnehmung die Leseleistungen und die
phonologische Bewusstheit
überprüft. Sie haben darin musikalische Fertigkeiten wie Rhythmus-, Melodie-, Klang- und Tonwahrnehmung untersucht. Dabei waren die Kinder angehalten, paarweise dargebotene Rhythmen, Melodien und Klänge dahingehend zu überprüfen, ob die dargebotenen Reizpaare identisch oder unterschiedlich waren. Ein weiterer Test bestand darin, dass die Kinder zu entscheiden hatten, ob der dargebotene Klang (bzw. Ton) aus einem oder mehreren Tönen bestand. In weiteren Versuchsdurchgängen sollten sie einen vorgesungenen Rhythmus nachsingen (z.B. la-lala-la).
    Zur Untersuchung der
phonologischen Bewusstheit
kamen folgende Tests zur Anwendung: 1. anhand von vorgegebenen

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