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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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Wörter den Regeln der Grammatik entsprechend nacheinander entfalten. Nach bestimmten Wörtern (mit entsprechenden Beugungen) erwartet man bestimmte andere Wörter. Die Leipziger Forscher haben zuweilen so genannte Neapolitanische Sextakkorde in die Akkordfolge «hineingemischt». Geübte Profimusiker erkennen diese Abweichungen und empfinden diese Klänge als befremdlich und dissonant. Die Kollegen gingen davon aus, dass diese Dissonanzen vor allem jene Hirngebiete aktivieren sollten, die mit einer möglichen «Grammatik» der Musik zu tun hätten. Die Ergebnisse waren überraschend und können in zwei Punkten zusammengefasst werden:
    1.   Weite Bereiche im und um den Hörkortex im Schläfenlappen beider Hemisphären sind aktiv. Neben diesen Hirngebieten sind auch beidseitig Hirngebiete im Bereich des unteren Stirnhirns aktiv. Man kann also grundsätzlich ein beidseitiges Aktivierungsmuster bei der Musikwahrnehmung feststellen.
    2.   Neben dieser grundsätzlichen beidseitigen Aktivierung zeigten sich auch etwas stärkere Aktivierungen in der rechten Hemisphäre. Auffällig war insbesondere die rechtsseitige Aktivierungsdominanz beim Erkennen der Neapolitanischen Sextakkorde im Stirnhirn. Das aktivierte Hirngebiet liegt genau gegenüber dem Broca-Areal im rechten Stirnhirn. Auch das rechtsseitige Hirngebiet gegenüber dem Wernicke-Areal ist bei der Wahrnehmung der Klänge stärker aktiv.
    Nach den Ergebnissen des Teams um Stefan Koelsch und Angela Friederici finden Musik- und Sprachverarbeitung im Gehirn in dendenselben Schaltkreisen statt – jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der rechten oder linken Hemisphäre. In weiteren Studien wurden dieselben mehr oder weniger «gestörten» Akkordfolgen etlichen Testpersonen vorgespielt, während ein Elektroenzephalograph (EEG) ihre Hirnströme aufzeichnete. Tatsächlich reagierte vor allem das rechtsseitige Stirnhirn (gegenüber dem klassischen Broca-Areal) schon nach 180 bis 200 Millisekunden auf Verletzungen der musikalischen Grammatik mit einer typischen elektrophysiologischen Reaktion, kurz ERAN (für
Early Right Anterior Negativity
) genannt. Dieses Bild entspricht auffallend einer ähnlichen Reaktion in der linken Hirnhälfte, mit der das Gehirn gegen Verstöße gegen die sprachliche Grammatik «protestiert», der so genannten ELAN (für
Early Left Anterior Negativity
). Interessant ist auch, dass bereits die Gehirne von Mädchen und Jungen, auch wenn sie keine formale Musikausbildung genossen haben, über eine musikalische Syntax verfügen. Dies konnten die Leipziger Kollegen in Versuchen mit Neunjährigen herausarbeiten und zeigen, dass selbst bei diesen musikalisch mehr oder weniger ungeschulten Kindern bei musikalischen Regelverletzungen eine ERAN zu messen ist. Zweifellos sind urmusikalische Elemente wie Melodie, Rhythmus und Akzent auch fundamentale Informationen für Sprachproduktion und -verständnis. Womöglich nutzen Babys die akustischen Merkmale der Sprache, um Ordnung im Sprach-Brei zu schaffen, der auf sie einströmt.
    Kann Musik auch Bedeutung vermitteln bzw. hat Musik Zugang zur sprachlichen Semantik? Kann das Hören eines bestimmten Musikstückes den semantischen «Raum» von Bergen, Wäldern, Flüssen oder Flugzeugen aktivieren? Wenn dem so wäre, dann müssten wir beim Hören bestimmter Musikstücke quasi automatisch bestimmte sprachliche Bedeutungen abrufen können? Für manch einen Leser mögen diese Fragen seltsam klingen, denn Bedeutung zu vermitteln und zu erkennen, ist doch eigentlich eine typische Domäne der Sprache. «Mit Musik kann man keine Pizza bestellen», hat der Musikpsychologe Petr Janata in seinem Artikel in
Nature Neuroscience
augenzwinkernd und nicht ganz zu unrecht angemerkt (Janata, 2004). Es bestehen jedoch erheblich stärkere Verbindungen von der Musik zu unserem semantischen Gedächtnis, als wir bislang vermutet haben. Das semantische Gedächtnis ist unser Faktenspeicher. Dieses Speichersystem funktioniert nicht wie der Nürnberger Trichter, wo die Informationen einfach ungeordnet in den Speicher hineingestopft werden. Wir wissen mittlerweile sehr gut, dass jede Information, die wir in das Langzeitgedächtnis überführen,mit anderen Informationen verknüpft wird. Diese Verknüpfung führt dazu, dass das Gelernte in einem Wissensnetzwerk abgelegt

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