Macht Musik schlau?
Verankerung eines Schriftzeichens dann besonders fest, wenn es viele und sichere Querverbindungen am besten zu allen Modulen aufweist. Eine besonders wichtige Verbindung besteht zweifellos zu den Sprachlauten, den akustischen Geschwistern der Schriftzeichen. Beide Module haben wahrscheinlich deshalb eine enge Beziehung, weil sie auch auf einer unteren Ebene, wo ganz elementare akustische Merkmale analysiert werden, bereits miteinandergekoppelt werden können. Diese enge Kopplung hat zur Folge, dass Schriftzeichen, die besonders gut an ihre zugehörigen Sprachlaute angekoppelt sind, auch gut erkannt werden. Umgekehrt werden Sprachlaute gut erkannt, wenn ihnen eindeutige Schriftzeichen zugeordnet werden können. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein geschultes Gehör die Erkennung von Schriftzeichen vereinfacht.
Eine Reihe von experimentellen Arbeiten hat diesen Zusammenhang tatsächlich bestätigt. Kinder, die schon früh gelernt haben, Sprachlaute zu unterscheiden, können diese Sprachlaute auch schneller an Schriftzeichen anbinden. Belegt ist auch, dass Kinder mit schlechten Leseleistungen auch bemerkenswert schlechte Leistungen beim Buchstabieren und Erkennen von Reimen haben. Sprechen und Lesen weisen also einen engen Zusammenhang auf. Die Analyse gesprochener Sprache ist für das menschliche Hörsystem eine wirkliche Herausforderung, denn der Sprachstrom besteht aus einer mehr oder weniger kontinuierlichen Abfolge von Lauten, die teilweise ineinander übergehen und somit schwer auseinanderzuhalten sind. Zudem werden die Laute in unterschiedlichen Betonungen gesprochen und die Lautgruppen (Silben) zu Wörtern zusammengefasst. Infolge der unterschiedlichen Betonungen der einzelnen Silben unterliegt die gesprochene Sprache einem typischen Rhythmus. Der berühmte Neuropsychologe Karl Lashley (1890â1958) hatte bereits in den 1950er-Jahren den Sprechrhythmus als einen Ordnungstrick des Gehirns aufgefasst. Der Sprechrhythmus bietet gewissermaÃen einen zeitlichen Rahmen, in den hinein die einzelnen Sprachlaute eingebettet werden. Das bedeutet, dass das Verständnis der gesprochenen Sprache davon abhängt, ob der Hörer die Sprache hinsichtlich der Betonungen, des Rhythmus, der Lautgrenzen und der charakteristischen akustischen Eigenarten erkennen kann. Die erkannten akustischen Sprachelemente werden dann nach bestimmten GesetzmäÃigkeiten zu gröÃeren Einheiten zusammengesetzt. Bei genauerem Hinsehen wird eine groÃe Ãhnlichkeit mit der Musikwahrnehmung erkennbar. Auch hier ist das Erkennen des Rhythmus, der Betonung und der charakteristischen akustischen Eigenarten von herausragender Bedeutung. Auch bei der Musikwahrnehmung werden die einzelnen Noten und Notenfolgen wiederum nach bestimmten GesetzmäÃigkeiten zu gröÃeren Einheiten zusammengefasst (z.B. Melodie). Interessanterweise haben meine Mitarbeiter Eveline Geiser und Martin Meyer kürzlich in einer fMRT-Studie zeigen können, dass beim Hören von Sprachrhythmus â ähnlich wie bei der Verarbeitung von Prosodie â der rechtshemisphärischeHörkortex eine entscheidende Rolle spielt, womit auch auf neuroanatomischer Ebene eine Art Brückenfunktion von Rhythmus und Melodie als gemeinsame Ordnungselemente in der sprachlichen und musikalischen Domäne nachgewiesen wäre (Meyer, 2008; Geiser, Zaehle, Jäncke und Meyer, 2008).
Beide Fähigkeiten benötigen demzufolge ein besonders geschultes Gehör. Da, wie bereits dargestellt, Musik- und Sprachwahrnehmung teilweise über die gleichen Hirngebiete vermittelt werden, ist es nicht verwunderlich, dass zwischen der Musik- und der Sprachwahrnehmung wechselseitig fördernde Querverbindungen existieren. Ein weiteres Argument dafür, dass Sprache und Musik eng miteinander verzahnt sind, ist die Tatsache, dass die ersten SprachäuÃerungen, die kleine Kinder zu hören bekommen, eher einen Sing-Sang-Charakter haben. Eltern «sprechen» mit ihren Kindern, indem sie Vokale dehnen und einzelne Silben mit wechselnden Betonungen wiederholen. Diese «Ammensprache» ist über viele Kulturen sehr ähnlich. Für die vorliegende Betrachtung bedeutet dies, dass Kinder schon sehr früh sprachliche Informationen im Kontext von musikalischen Informationen aufzunehmen lernen. Eine weitere Gemeinsamkeit soll an dieser Stelle erwähnt werden. Sprach- und Musikwahrnehmung erfordern so etwas wie einen
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