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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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wird. Hierbei werden beim Abruf einer Information aus diesem Wissensnetzwerk auch die anderen Informationen automatisch mit aktiviert. Das bedeutet, dass sich die Aktivierung innerhalb dieses semantischen Netzes wie ein Fächer ausbreitet und auch die benachbarten Informationen quasi automatisch mit aktiviert werden. Um dies zu verstehen, muss man sich das semantische Netzwerk räumlich wie ein Gebilde vorstellen, wo jeder Knoten des Netzes eine Bedeutung repräsentiert. Wird eine bestimmte Bedeutung aktiviert, z.B. weil sie aus dem Gedächtnis abgerufen wird, um ins Bewusstsein zu gelangen, dann werden auch die «Nachbarknoten» bzw. die «Nachbarbedeutungen» mit aktiviert. Man kann auch ein Teilnetzwerk durch Informationen quasi «vorwärmen» (voraktivieren). Im Experiment macht man das mit bestimmten Reizen, die vor dem Gedächtnistest präsentiert werden, die entweder einen Bezug zum semantischen Netzwerk haben oder nicht. Nehmen wir einmal an, Sie säßen bei mir Labor und ich würde Ihnen auf einem Computerbildschirm den Satz: «Das Schiff gleitet über den See.» präsentieren. Sie lesen den Satz, und während Sie ihn verstehen, wird ein bestimmtes semantisches Netz aktiviert, in dem viele Bedeutungen mit Schiffen, See und Wasser miteinander assoziiert sind. Wenn ich Ihnen nun nach dem Satz ein einziges Wort präsentiere und die Aufgabe gebe zu entscheiden, ob es sich um ein Verb oder Hauptwort handelt, dann werden Sie die Aufgabe umso schneller lösen, je stärker dieses Wort in dem semantischen Netzwerk repräsentiert ist. Also wenn ich Ihnen nach dem obigen Satz das Wort «Fluss» präsentiere, wird Ihre Reaktionszeit schneller sein als nach der Präsentation des Wortes «Tennis», das weder mit Schiffen, noch mit See oder Wasser assoziiert ist. Der Grund für diese unterschiedlichen Reaktionszeiten ist, dass durch die Präsentation des Satzes das semantische Netzwerk (Schiff, See, Wasser) voraktiviert, also gleichsam «vorgewärmt» wurde. Deshalb fällt es Ihnen viel leichter, die Information des «vorgewärmten» Netzwerkes abzurufen und für die gestellte Aufgabe zu nutzen. Was ich gerade dargestellt habe, ist ein typisches
Priming-Experiment
65 , das viele Psychologiestudenten in den ersten
Semestern in ihren Experimentalpraktika durchführen. In diesen Experimenten werden Primes
(in unserem Beispiel: «Das Schiff gleitet über den See.») und Zielwörter (in unserem Beispiel: «Fluss» resp. «Tennis») verwendet. Neben den Reaktionszeiten werden in solchen semantischen Priming-Experimenten auch evozierte Hirnsignale gemessen. So kann man z.B. messen, wie die Hirnreaktion auf das Zielwort aussieht, in Abhängigkeit von vorangegangenen Priming-Reizen. Dabei zeigt sich in vielen Untersuchungen 400 Millisekunden nach der Präsentation des Zielwortes eine charakteristische Hirnreaktion, die als N400 66 bezeichnet wird. Die Auslenkung dieser Reaktion ist umso größer, je weniger Bezug der Zielreiz zum
Priming-Reiz
hat. Offenbar müssen die neuronalen Netzwerke zur semantischen Analyse «mehr arbeiten», um den Zielreiz aus einem nicht «vorgewärmten» Netzwerk in das Arbeitsgedächtnis 67 zu transferieren. Kleine Amplituden misst man, wenn ein enger semantischer Bezug zwischen
Prime
und Zielwort besteht.
    Können bestimmte Musikstücke und -phrasen als
Primes
für semantische Netzwerk genutzt werden? Oder anders ausgedrückt: Kann bestimmte Musik bereits bestehende semantische Netzwerke «vorwärmen» bzw. voraktivieren? Diese Frage ist wirklich spannend, und die Antwort darauf hätte womöglich weitreichende praktische Konsequenzen für den Lernalltag, aber auch im Kontext von neuropsychologischen Therapien. Die Leipziger Arbeitsgruppe um Stephan Koelsch hat sich erstmals dieser Frage zugewandt und überprüft, ob Musik als Priming-Reiz für semantische Netzwerke genutzt werden kann (Koelsch et al., 2004). Sie haben im Rahmen von Vorexperimenten Musikstückeausgewählt, die eine enge semantische Beziehung zu verschiedenen Konzepten aufwiesen. Diese semantische Nähe haben sie unter anderem aus Interpretationen und Anmerkungen der Komponisten erschlossen, aber auch anhand von einer Serie von Verhaltensexperimenten. Ein typisches Verhaltensexperiment war wie folgt gestaltet: Den Versuchspersonen wurden kurze Sequenzen von Musikstücken vorgespielt

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