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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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der
Melodic Intonation Therapy
(MIT) besteht diese erste Phase konkret aus normaler Sprache mit übertriebenem Rhythmus, übertriebener Betonung und übertriebener Melodie (Albert, 1998).
    Die therapeutischen Erfolge der MIT werden der Plastizität des Gehirns zugeschrieben, durch die rechts-hemisphärische Sprachareale graduell, d.h. nach und nach für die normale Sprachproduktion rekrutiert werden. Eine bildgebende Studie von Pascual Belin und Kollegen kommt allerdings zum Ergebnis, dass gesungene Worte im Vergleich zu gesprochenen Worten mehr linksseitige, anteriore Frontalhirnstrukturen aktivieren (Belin et al., 1996). Diese Ergebnisse bestätigen nicht nur eine wachsende Anzahl von Studien, gemäß denen Musik und Sprache gemeinsame neuronale Substrate haben. Sie postulieren zugleich die entgegengesetzte Hypothese, wonach die MIT entweder beschädigte Hirnareale reaktiviert oder in der Nähe liegende Areale rekrutiert, und das ohne speziellen Bezug zur rechten Hemisphäre. Insofern müssen wir abwarten, was die zukünftige Forschung auf diesem Gebiet erbringen wird. Derzeit sind verschiedene Forschungsgruppen mit dieser Frage beschäftigt.
    Ein anderer interessanter Zusammenhang zwischen Musik und Sprache eröffnet sich bei der Analyse von Sprachlern-Störungen (engl.:
language-learning impairment
). Im Deutschen wird gelegentlich der Begriff der Sprachentwicklungsverzögerung im gleichen Kontext genutzt, obwohl er nicht vollständig deckungsgleich mit dem englischen Begriff ist. Im Wesentlichen werden unter dem Begriff «Sprachlern-Störungen» Sprachdefizite verstanden, bei denen eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) im Vordergrund steht. Diese Teilleistungsschwäche betrifft ungefähr 10 % der Schulkinder und bleibt im Grunde bis ins Erwachsenenalter bestehen. Eine der wenigen vielversprechenden Theorien zu diesem Störungskomplex ist die so genannte
phonologische Hypothese
mit ihren spezifischen Unterformen. Dabei geht man davon aus, dass Personen, die unter LRS leiden, ein grundlegendes Defizit hinsichtlich der Verarbeitung phonologischer Aspekte von Sprache aufweisen. Solche Personen können vor allem die Sprachlaute eines Wortes nur mitgroßer Mühe erfassen. Jemand, der Lesen lernt, benötigt
phonologische Bewusstheit
(s. oben), um die Schriftzeichen (Grapheme) den Sprachlauten (Phoneme) zuzuordnen. Kinder mit schlechter
phonologischer Bewusstheit
entwickeln mit großer Wahrscheinlichkeit später schlechte Leseleistungen. Sprachliches Training der
phonologischen Bewusstheit
andererseits verbessert die Leistung beim normalen Leselernprozess. Es konnten allerdings mehrfach auch Kinder identifiziert werden, die zwar an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche litten, aber dennoch über intakte phonologische Fähigkeiten verfügten, ein Befund, der deutlich macht, dass eine Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht immer mit phonologischen Verarbeitungsproblemen erklärt werden kann, sondern dass auch andere Probleme vorliegen können.
    Eine besondere Variante der phonologischen Hypothese ist die «
Rapid Auditory Processing Deficit-Hypothesis»
von Tallal und Gaab (2006). Nach ihren Erkenntnissen liegt dem phonologischen Verarbeitungsdefizit bei von einer LRS betroffenen Lesern ein grundlegendes Defizit in der Verarbeitung und Integration kurzer, schnell aufeinander folgender auditiver Reize zugrunde (zum Beispiel zwei aufeinander folgende kurze Geräusche). Ein solches Defizit soll, Tallal und Gaab zufolge, zu Schwierigkeiten in der Fähigkeit führen, akustische Hinweise gegeneinander abzugrenzen, die für die Unterscheidung verschiedener Phoneme wichtig sind (wie beispielsweise Unterschiede in der Stimmeinsatzzeit von rund 70 Millisekunden zwischen /da/ und /ta/). Wenn man ähnlich klingende Phoneme akustisch nicht mehr auseinanderhalten kann, wird auch die Zuordnung der Phoneme zu den Graphemen immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Auf der Basis dieser Überlegungen hat Paula Tallal gemeinsam mit Michael Merzenich ein umfangreiches Computertrainingsprogramm entwickelt (FastForWord®), mit dem die Fähigkeit, akustische Reize voneinander zu unterscheiden, verbessert wird. Eine Reihe von unabhängigen Studien hat die Wirksamkeit dieser Methode gut belegen können 73 und nachgewiesen, dass die Kinder auch ihre Lese- und Schreibleistungen verbessern.
    Interessant ist, dass Kinder, die an einer LRS leiden, nicht

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