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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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Magnetresonanztomographie konnten sie die Gehirne dieser 52 Versuchspersonen mit einer hohen räumlichen Auflösung digital rekonstruieren. 77 Bei der Analyse der digitalen Gehirne haben sie sich insbesondere auf die Dichte der grauen Substanz im Stirnhirn konzentriert. Wie bereits dargestellt, geht man derzeit davon aus, dass dieser Kennwert entweder die Anzahl der Nervenzellen pro Volumeneinheit, die Größe der Nervenzellen pro Volumeneinheit und/oder die Dichte der informationszuführenden «Kabel» (Dendriten) repräsentiert. Unabhängig davon, welcher anatomische Parameter für die Dichte der grauen Substanz verantwortlich ist, haben viele Studien gezeigt, dass die Dichte der grauen Substanz in bestimmten Hirngebieten mit der Leistungsfähigkeit der Funktionen gekoppelt ist, die von diesen Hirngebieten kontrolliert werden. In der Regel gilt hier die Formel: «Je besser die Leistung ist, die von einem bestimmten Hirngebiet kontrolliert wird, desto größer ist die Dichte der grauen Substanz in diesem Hirngebiet.» Vanessa Sluming und ihre Kollegen konnten zeigen, dass bei den Nichtmusikern wie erwartet die Dichte der grauen Substanz mit zunehmendem Alter ein wenig abnimmt. Das entspricht ungefähr den Erkenntnissen, die wir aus der anatomischen Altersforschung zur Verfügung haben (Jäncke, 2005). Mit zunehmendem Alter scheint sich die Dichte der grauen Substanz zu reduzieren. Bemerkenswert ist jedoch, dass diese altersbedingte Reduktion der Dichte der grauen Substanz im Stirnhirn bei Profimusikern entweder gar nicht oder zumindest stark abgeschwächt vorhanden ist. Meine Erklärung dafür ist, dass die Profimusiker diesen Hirnbereich intensiver nutzen als die Vergleichspersonen und ihn somit intensiver aktivieren (s. Abb. 66 ). Dabei muss bedacht werden, dass dieses HirngebietNervenzellgruppen beherbergt, die auf die Kontrolle der Aufmerksamkeit, des Arbeitsgedächtnisses und der Handlungsplanung spezialisiert sind. Daher wird die Nutzung dieser Funktionen auch dieses Hirngebiet stärker beanspruchen. Durch diese stärkere Nutzung bleibt dieses Gebiet länger «erhalten» und ist demzufolge einer geringeren oder vielleicht sogar keiner Degeneration unterworfen, was wiederum zur Folge haben könnte, dass die dort lokalisierten Funktionen sich auch im fortgeschrittenen Alter noch entfalten können.

    Abbildung 66: Schematische Darstellung der Befunde von Sluming et al. (2002). Der Kreis markiert das Hirngebiet, das bei Musikern mit zunehmendem Alter keinen oder einen geringeren Abbau der grauen Substanz aufweist als bei Nichtmusikern.
    Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass bei den Musikern insbesondere jener Hirnbereich weniger degenerierte, den wir als Broca-Areal bezeichnen. Vielleicht kann der Leser sich noch an dieses Hirngebiet erinnern. Dieses Hirngebiet ist bei Musikern auch besonders stark aktiviert, wenn sie mental zwei- oder dreidimensionale Objekte rotieren, Noten lesen, Musik hören und musizieren. Man kann also davon ausgehen, dass dieses Hirngebiet bei Musikern durch das Musizieren besonders beansprucht wird.
    All diese Ergebnisse sprechen für die «Use it or lose it»-Hypothese des Alterns. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass zumindest im gesund alternden Gehirn die Hirnfunktionen und die Hirnanatomie nicht nur einem passiven Zerfallsprozess unterworfen sind, sondern die physiologischen und neuroanatomischen Veränderungen durch spezifische Erfahrungen zumindest modifiziert oder abgewandelt werden. Wie bereits in Kapitel 9 dargestellt, ist unser Gehirn einem ständigen Umbauprozess unterworfen, der von den durchgeführten Tätigkeiten abhängt.Insbesondere das Stirnhirn ist besonders empfänglich für die erfahrungsbedingten Einflüsse. Dieses Hirngebiet ist eine jener Strukturen, die im Verlauf der menschlichen Evolution besonderen Veränderungen unterworfen waren, was man daran erkennt, dass das Stirnhirn des Menschen im Vergleich zu jenem der Primaten besonders stark an Gewicht und Volumen gewonnen hat. Ferner sind im Stirnhirn psychische Funktionen lokalisiert, die zu den komplexesten Funktionen gehören, über die der Mensch verfügt. Dies sind Funktionen, die es uns erlauben, unser Verhalten im sozialen Kontext zu kontrollieren, zu lernen und uns bewusst und aufmerksam mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Da wir unsere Umwelt ständig verändern, müssen wir uns auch ständig an die

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