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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz Jäncke
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Möglicherweise wird er diesen Ton dann als falsch gestimmten Kammerton /a’/ bezeichnen. In gewisser Weise ist diese Form der auditorischen Analyse auch bei der Sprachwahrnehmung wirksam, denn dort identifizieren wir bestimmte akustische Ereignisse auch kategorial.
    Ein typisches Beispiel für kategoriale Wahrnehmung ist die Wahrnehmung der Stimmeinsatzzeit, die durch die Zeit vom Beginn der Artikulation bis zur Stimmlippenschwingung definiert ist. Äußern wir ein /ta/ dann bestimmt die Dauer vom Beginn des /t/ bis zum Beginn des /a/ die Stimmeinsatzzeit. Sie muss in einem bestimmten Bereich liegen, damit der Hörer ein /ta/ hört. Das bedeutet, die Stimmeinsatzzeit muss nicht eine ganz bestimmte Zeit betragen, sondern in einem bestimmten Bereich liegen. Typische Stimmeinsatzzeiten, die zur Wahrnehmung eines /ta/ führen, liegen im Bereich von 30 bis 50 Millisekunden und müssen nicht exakt 40 Millisekunden betragen. Werden allerdings die Grenzen dieses Bereiches unter- oder überschritten, wird die nächste Kategorie wahrgenommen. Bei kürzeren Stimmeinsatzzeiten wird ein /pa/ und bei längeren ein /ka/ wahrgenommen. Innerhalb des Bereiches von 30 bis 50 Millisekunden wird immer ein /ta/ erkannt. Nehmen wir einmal an, ich würde ein von Ihnen gesprochenes /ta/ im Computer speichern. Die Stimmeinsatzzeit würde 40 Millisekunden betragen und wir würden alle ein deutliches und klares /ta/ hören. Nachdem ich dasSprachsignal im Rechner gespeichert habe, verkürze ich die Stimmeinsatzzeit um etwa 20 Millisekunden und spiele Ihnen dann den so manipulierten Sprachlaut vor. Sie würden kein /ta/, sondern ein /pa/ hören. Verlängere ich hingegen diesen Zeitraum um 20 Millisekunden, würden Sie ein /ka/ hören. Das bedeutet, dass das Hören eines der unterschiedlichen Konsonanten davon abhängt, in welchem Bereich die Stimmeinsatz liegt. Kategoriale Wahrnehmung bedeutet, dass die physikalischen Parameter eines Reizes (im obigen Beispiel die Länge der Stimmeinsatzzeit) in einem bestimmten Bereich liegen müssen, damit wir eine bestimmte Kategorie wahrnehmen.
    Nicht absoluthörende Personen hören Töne eher kontinuierlich. Das bedeutet, wir können die Töne als hoch oder tief, im Vergleich mit anderen Tönen als tiefer oder höher wahrnehmen. Allerdings können wir die jeweiligen Töne nicht präzise einer Kategorie zuordnen. Absoluthörer bewerkstelligen dies eben anders. Sie ordnen Töne und Klänge immer einer bestimmten Kategorie zu. Wahrscheinlich findet ein Teil der kategoriellen Wahrnehmung von Tönen im sekundären Hörkortex statt. Blindgeborene Musiker oder Musiker, die vor dem 2. Lebensjahr blind geworden sind, scheinen häufiger das absolute Gehör zu entwickeln. Manche Autoren vermuten sogar, dass bis zu 60 % von diesen praktisch von Geburt an blinden Musikern über das absolute Gehör verfügen. Bemerkenswert ist allerdings, dass praktisch von Geburt an blinde Musiker ein anderes Hirnaktivierungsmuster aufweisen, wenn sie Töne hören, als Absoluthörer (Hamilton, Pascual-Leone und Schlaug, 2004). Der auffälligste Unterschied zu sehenden Absoluthörern besteht darin, dass die Musiker, die praktisch von Geburt an blind sind, viel stärker auch die Sehrinde mit in die Analyse der auditorischen Informationen einbeziehen. Das bedeutet, dass sie Hirngebiete für die auditorische Analyse nutzen, die bei Sehenden auf die Analyse von visuellen Informationen spezialisiert sind. Aufgrund der Tatsache, dass sie ein größeres Netzwerk nutzen können, um Töne und Klänge zu analysieren und zu speichern, könnten sie eher die Fähigkeit des absoluten Gehörs ausgebildet haben. Ob das wirklich der Grund für das häufigere Auftreten des absoluten Gehörs bei Blinden ist, muss noch belegt werden. Es spricht jedoch einiges dafür, dass bei Musikern, die praktisch von Geburt an blind sind, in der Tat erhebliche kortikale Reorganisationsprozesse stattgefunden haben müssen. Gaab und Kollegen konnten kürzlich im Rahmen einer interessanten neuroanatomischen Studie belegen, dass Absoluthörer, die praktisch seit ihrer Geburt blind sind, über atypische makroanatomischeMerkmale im Bereich des auditorischen Kortex verfügen (Gaab, Schulze, Ozdemir und Schlaug, 2006). Die bei sehenden Absoluthörern anzutreffende Links-rechts-Asymmetrie des Planum temporale ist bei diesen Personen

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