Macht Musik schlau?
diesem günstigen Ausstrahlungseffekt, während Popmusiker diesbezüglich ein schlechteres Image haben. So liegt es durchaus nahe, dass nicht wenige vermuten, dass besonders gute klassische Musiker aufgrund ihrer «Sonderbegabung» besonders intelligent seien, was sie auch zu anderen Tätigkeiten (insbesondere intellektuellen) besonders befähigen würde. Eine andere Forschungslinie betont eher, dass musikalische Fertigkeiten bei Musikern durch das intensive Musiktraining geformt werden. Im Rahmen dieser Argumentationskette wird die Musikleistung eher als ein Produktdes aufgewendeten Trainings gesehen. Ich werde auf diesen Punkt in Kapitel 10 noch näher eingehen.
Trotz aller unterschiedlicher Erklärungsansätze besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Musiker (selbst Amateurmusiker) über bemerkenswerte Fähigkeiten im musikalischen Bereich verfügen, denn das macht sie ja aus. Sind wir nicht alle begeistert ja sogar erstaunt, wenn wir sehen dürfen, wie schnell bereits ein durchschnittlicher Pianist die Tasten anschlägt? Wir sind natürlich auch fasziniert zu realisieren, wie genau Musiker kleinste Ton-, Melodie- und Rhythmusunterschiede zu unterscheiden vermögen. Bemerkenswert ist auch, dass ein Musiker sich an so viele Musikstücke zu erinnern scheint. Selbst das Spielen eines Musikstückes aus dem Gedächtnis erscheint als eine bemerkenswerte Leistung, kann doch ein Nichtmusiker offenbar nur wenige Tonfolgen auswendig lernen. Profimusiker bestreiten ein ganzes Programm komplett aus dem Gedächtnis. Interessant ist auch eine andere von Musikern durchaus als normal erlebte Fähigkeit, nämlich das Spielen vom Notenblatt (
sight-reading
). Dabei müssen verschiedene psychische Funktionen teilweise simultan oder leicht zeitverschoben miteinander synchronisiert werden. Man muss die Noten lesen, die demnächst (also quasi in der Zukunft) gespielt werden müssen. Diese Noten bzw. die Notenfolgen müssen erkannt und dann in motorische Tätigkeiten (z.B. entsprechende beidhändige Handbewegungen beim Klavierspielen) umgewandelt werden. Die motorischen Tätigkeiten führen dann zu Musikreizen, die während des Spielens auf Korrektheit überprüft werden müssen. Unter Umständen müssen dann noch während des Spielens entsprechende motorische Korrekturen eingeführt werden, und der Musiker muss sich noch auf das Orchester und den Dirigenten einstellen.
4.9
Zusammenfassung und kritische Würdigung
â    In den gut kontrollierten Querschnittuntersuchungen zeigen sich konsistent bessere verbale Gedächtnisleistungen bei Musikern.
â    Hinsichtlich des visuellen Gedächtnisses existieren derzeit noch widersprüchliche Befunde. Allerdings existieren Anzeichen, die darauf hindeuten, dass unter bestimmten Umständen auch das visuelle Gedächtnis bei Musikern etwas besser ist. Dies konnte insbesonderefür Musiker aus den USA und Kanada nachgewiesen werden. Bei chinesischen Musikern ist dieser Vorteil nicht berichtet worden, was möglicherweise mit dem chinesischen Sprachsystem zusammenhängt.
â    Etliche Querschnittuntersuchungen belegen, dass Musiker bzw. Personen mit Musikerfahrung bessere Leistungen in visuell-räumlichen Tests aufweisen. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass verschiedene Aspekte der Musik in unserem Gehirn räumlich repräsentiert sind. Durch das Musizieren werden diese visuell-räumlichen Funktionen offenbar häufig trainiert. Insofern ist es durchaus plausibel, dass diese visuell-räumlichen Funktionen auch für andere, nichtmusikalische Leistungen genutzt werden können.
â    Musiker verfügen über ein bemerkenswertes Gedächtnis für Musik. Dieses Musikgedächtnis wird über intensives Training aufgebaut und ist im Wesentlichen durch eine spezielle Variante des Expertengedächtnisses erklärbar. Wesentliches Element dieses Expertengedächtnisses ist die «Abrufstruktur». Diese Abrufstruktur kann man sich als ein assoziatives Netzwerk vorstellen, in dem Hinweisreize mit vielen anderen musikrelevanten Informationen gekoppelt sind. Wichtige Bestandteile dieses Netzwerkes sind bei Musikern auch motorische Informationen. Dies sind in der Regel motorische Programme zur Bedienung der Instrumente.
â    Da das Rechnen und der Umgang mit Zahlen stark von visuell-räumlichen
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