Macht: Thriller (German Edition)
gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler und an der ersten bemannten Mondlandung der NASA vor 43 Jahren. Heute war ein guter Tag. Nicht zum Sterben, wie die Klingonen und schon lange vor ihnen die Sioux sagten, sondern zum Leben. Nein, beschloss Josephine, den ließ sie sich nicht von einem Schnösel verderben. Auch die fast 30 neuen Emails in ihrer Mailbox konnten daran nichts mehr ändern. Eine nach der anderen arbeitete sie ab. Mit wechselnder Begeisterung und schwankender Anteilnahme.
Ein Absender sprang Josephine sofort ins Auge. Sie freute sich aufrichtig, seinen Namen in der Liste zu sehen. Gabriel Fuchs war derjenige ihrer Freunde aus der Schulzeit, zu dem sie noch regelmäßig Kontakt pflegte. Mit einem Lächeln begann sie, zu lesen:
»Liebe Josi,
Sophie, Lilly und ich grüßen dich herzlich! Wir würden uns sehr freuen, wenn du demnächst unsere Einladung annimmst und uns in Wien besuchen kommst. Im Erdgeschoss unseres Hauses haben wir ein Gästezimmer eingerichtet, in dem du herzlich und jederzeit willkommen bist.
Ich weiß nicht, ob es dich interessiert, aber das Delirium tremens deines Vaters ist sehr weit fortgeschritten. Deine Mutter hat mir gesagt, er erkennt nicht einmal mehr sie. Von ihm geht also keine Bedrohung mehr aus.«
Josephines Miene wurde ernst. »Nein, Gabriel, das interessiert mich nicht! Aber lieb, dass du es trotzdem immer wieder versuchst.«
Sie übersprang die nächsten Zeilen. Erst als es in der Mail um den alten evangelischen Friedhof Matzleinsdorferplatz ging, las sie weiter.
»In meiner ganzen Dienstzeit hier in Favoriten sind mir noch nie so schwere Fälle von Friedhofsschändungen untergekommen. 150 Gräber sind beschädigt. Vasen und Laternen aus Kupfer oder Bronze sind aus ihren Verankerungen gerissen und gestohlen worden. Der Sachschaden ist immens. Und die Diebe werden immer dreister. Letzte Nacht sind die Buntmetalldiebe mit ihrem Kleinlaster im Retourgang gegen das Friedhofstor gefahren. Die gusseisernen Flügel sind stärker gewesen, aber das Tor ist beschädigt. Ich hoffe, dass die Bande bald verhaftet werden kann. Ich werde der nächsten Presbytersitzung vorschlagen, um die Christuskirche und auf dem Friedhof Überwachungskameras montieren zu lassen.«
»Gute Idee!« Mahler nickte und biss in einen Apfel.
»Es geschieht in letzter Zeit noch etwas anderes Seltsames auf dem Friedhof, das mich nicht in Ruhe lässt und wobei ich deinen Rat brauche.«
»Aha«, machte Josephine, legte den Apfel zur Seite und rückte näher.
»Auf dem Grab von Otto Weininger sind in mehreren Nächten silberne Ringe abgelegt worden. Die Ringe waren aus Silber und mit einem Totenkopf verziert. Bei einigen der Ringe war der Kopf ganz plastisch mit zwei gekreuzten Knochen darunter. Ich habe sie auf dem Grab liegen gelassen. Sie sind wohl als Geschenk für Otto Weininger gedacht und gehören mir nicht. Und Sophie hat sich vor ihnen gegruselt. Dieser Weininger war ein komischer Mensch, ein Philosoph, der in der Sterbewohnung von Ludwig van Beethoven Selbstmord begangen hat. Auch sein Grabstein ist höchst eigenwillig. Es ist ein Labradorit, von Weiningers Vater gestiftet. Dieses Grabdenkmal ist das einzige aus dem Material, das ich kenne. Ein Foto findest du im Anhang.«
Mit einem Mausklick öffnete Mahler den Anhang und beäugte das Foto von dem Grabstein. Auf den ersten Blick fiel ihr nichts Außergewöhnliches auf. Sie machte das Fenster wieder zu.
»Hast du als Kulturanthropologin eine Idee, was es mit diesen Ringen auf sich haben könnte? Was bedeuten die Totenkopfringe? Wer legt sie auf Weiningers Grabstein und warum?«
»Keinen blassen Schimmer.« Josephine schüttelte den Kopf. Sie müsste einen dieser Ringe sehen, um eine Aussage treffen zu können. Silberringe mit Totenköpfen gab es zuhauf und in den unterschiedlichsten Preisklassen, vom billigen Accessoire der Rock- und Popkultur bis zum teuren Designer-Modeschmuck. Am wahrscheinlichsten, überlegte Mahler und kratzte sich am Kinn, handelte es sich bei dem nächtlichen Ringopfer um eine Mutprobe für Jugendliche. Die Ringe waren bestimmt Bikerringe um ein paar Euro. Niemand würde ein teures Schmuckstück einfach so auf einem Friedhof zurücklassen. Sogar auf dem Grab von Jim Morrison lag nur Trash. Und wer war gegen den Sänger der »Doors« schon Otto Weininger? Das wollte sie Gabriel antworten, kein Grund zur Besorgnis, sondern bloß jugendlicher Übermut mit dem szeneüblichen Hang zum Pathos.
Gedacht, getan. Josephine
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