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macht weiter

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Titel: macht weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Pollifax memorierte still ihre neue Rolle.
»Ich bin eine Schwiegermutter, die sich von der Grippe erholt«, sagte sie sich vor. Dann hüstelte sie diskret und übte erschöpftes Aussehen.
    Der Chauffeur sprach kaum Englisch, dafür war er ein stiller und sehr sicherer Fahrer. Langsam hatte Mrs. Pollifax den Versuch aufgegeben, ihm etwas Angenehmes über das Wetter zu sagen.
    So schenkte sie ihre Aufmerksamkeit der Umgebung. Die Straße schien nur aus Kurven zu bestehen, die geradezu atemberaubend waren und immerzu einen neuen Ausblick boten. Die Stadt und der See wurden kleiner und kleiner. Es tauchten unter ihnen, zwischen Baumkronen, vereinzelte Dächer auf. Hier ein einsames Chalet, da ein paar Villen. Plötzlich verringerte der Fahrer die Geschwindigkeit. Sie fuhren durch ein kleines Gehöft, das in einem steilen Winkel am Berghang klebte.
    Gleich dahinter begann das Gehölz. Auf der Fahrt durch den großen dichten Wald entdeckte Mrs. Pollifax eine Stelle, wo die Straße einen malerischen Blick freigab. Unmittelbar am Straßenrand öffnete sich eine tiefe Schlucht. Dann tauchte in einiger Entfernung ein Wegweiser auf: PRIVAT. SANATORIUM MONTBRISON.
    Der Chauffeur räusperte sich und deutete auf ein großes, weitläufiges Gebäude, das von hohen Bäumen und dichtem Gebüsch eingerahmt war. Zwei Lorbeerbüsche markierten die Zufahrt zum Grundstück, und jetzt ging es über einen schmalen Weg aufwärts, an einem Gewächshaus vorbei, und von da aus direkt zum Vorplatz.
    Die Sonne hatte das Sanatorium noch nicht erreicht. Es lag noch im tiefsten Schatten. Ein kräftiger Bursche mit grüner Schürze kehrte die Stufen vor dem Eingang. Auf der obersten Stufe hockte ein kleiner, ungefähr zehnjähriger Junge. Beide verfolgten die Ankunft mit neugierigen Blicken.
    Mrs. Pollifax stieg aus. Während der Fahrer ihr Gepäck aus dem Kofferraum hob, ging sie zum Eingang, um einen kurzen Blick in die etwas düstere, dunkel getäfelte Halle zu werfen. Der Junge war aufgesprungen und rief: »Bonjour, Madame!« Dann folgte eine Sturzflut französischer Worte.
    Mrs. Pollifax schüttelte lächelnd den Kopf. »Tut mir leid, ich spreche nur Englisch.«
    »Aber Madame, Englisch kann ich auch«, sagte er sichtlich aufgeregt. »Woher kommen Sie? Werden Sie hier behandelt? Sind Sie Ausländerin? Sind Sie geflogen? Warum fahren Sie im Auto? Bleiben Sie lange? Haben Sie eine Pflegerin dabei?«
    Jetzt erschien ein Mann in schwarzer Livree. Er wies den Jungen zurecht und lächelte Mrs. Pollifax zu: »Ich bin der Chefportier, Madame. Herzlich willkommen. Sie sind Madame Pollifax?«
    Sie nickte.
»Darf ich bitten... Emil!« Er erteilte dem Burschen mit der grünen Schürze einen kurzen Befehl, worauf dieser seinen Besen wegstellte und die Koffer nahm. »Würden Sie bitte mit mir ins Vestibül kommen. Die Sekretärin ist leider noch nicht hier. Es ist nämlich noch sehr früh. Emil wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Sie möchten bestimmt gleich etwas zu sich nehmen. Ich schicke Ihnen das Frühstück sofort nach oben.«
Er ging mit ihr ins Vestibül und reichte ihr einen Meldezettel. Hinter dem Empfangspult sah sie eine Telefonanlage, ein Regal mit Postfächern und daneben eine Glastür, die offenbar ins Büro führte. Sie trug sich ins Fremdenbuch ein, während Emil die Tür zum Fahrstuhl offenhielt.
Beim Einsteigen sah sie sich noch einmal um. Der Junge war ihr nachgegangen und starrte sie mit großen und unendlich traurigen Augen an. Sie war froh, als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte und sie von diesem Anblick befreite.
Ihr erster Eindruck war: Licht und Luft. Nachdem Emil gegangen war, öffnete Mrs. Pollifax die Balkontür. »Ach, wie hübsch«, sagte sie und trat an die Brüstung. Wälder, Bäume, die leise im Winde rauschten; in großer Ferne der Genfer See und über ihm ein tiefblauer Himmel.
Sie hätte gern einen Blick in den Garten getan, aber dazu mußte sie sich auf die Zehenspitzen stellen und sich über die Brüstung beugen. Ein Mauervo rsprung, der sämtliche Balkone dieser Etage miteinander verband, beeinträchtigte die Sicht nach unten. Dieser Vorsprung war ungewöhnlich breit und ließ deshalb nur einen schmalen Streifen des Rasens, ein Blumenrondell, eingesäumt von Rosenbeeten, und ein Gartenhäuschen sehen. Die Ruhe war unbeschreiblich.
Sie drehte sich um und suchte den Weg, den Carstairs erwähnt hatte. Wahrhaftig, da lief er wie eine kleine Narbe über den Berg.
Jemand klopfte. Nur ungern trennte sie sich vom Balkon. Sie ging

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