Machtkampf
Abgestempelt war es im Briefverteilzentrum 73, das für den Großraum Göppingen zuständig war. Mehr ließ sich dem Poststempel nicht entnehmen.
Der Kriminalist übergab den Brief den Kollegen der Spurensicherung. »Das lag drüben im Esszimmer, an der Vitrine«, sagte er und verzichtete darauf, nach Erkenntnissen aus dem Computer zu fragen. Die Männer hatten Notebook und alle Speichermedien, die sie finden konnten, in Kisten verpackt und lediglich die Kabel zurückgelassen. »Da werden unsere EDV-ler ihre Freude dran haben«, meinte einer der Beamten süffisant.
Ein anderer stopfte die Aktenordner, die er vom Regal genommen hatte, in Plastikkörbe. Linkohr warf einen kritischen Blick darauf und mochte sich die Kleinarbeit gar nicht vorstellen, die die Auswertung dieses Schriftverkehrs erfordern würde. Denn noch jagten sie einem Phantom hinterher. Bisher schien nur sicher zu sein, dass sich eine zweite Person auf dem Hochsitz aufgehalten hatte. Den tödlichen Schuss jedoch dürfte Max Hartmann selbst abgefeuert haben.
Linkohr stieg, in Gedanken versunken, die breite Holztreppe zum Obergeschoss hinauf, das sich in die Dachschräge einfügte. Auch hier dämpften dicke Teppiche die Schritte. Der Kriminalist öffnete die erste Tür und staunte über ein luxuriöses Schlafzimmer, in dem Betten, Vorhänge, Tapete und Teppichboden in dezentem Orange und Violett gehalten waren. Er nahm zur Kenntnis, dass es hier endlich die ersten konkreten Hinweise auf einen Bewohner gab: Nur ein Teil des Doppelbettes war akkurat hergerichtet, der andere erweckte den Eindruck, als sei erst vor Kurzem jemand aus den Federn gekrochen. Vielleicht, so überlegte Linkohr, hatte Hartmann gestern noch einen Mittagsschlaf gehalten, ehe er zu seinem Hochsitz aufgebrochen war, um dort weniger einsam zu sein als im eigenen Schlafzimmer. Doch warum ausgerechnet auf dem Hochsitz, wenn es hier viel bequemer war?, überlegte Linkohr, musste sich aber eingestehen, dass ein Abenteuer in freier Natur auch seinen Reiz hatte. Weshalb er ausgerechnet jetzt an Vanessa denken musste, erstaunte ihn selbst. Vielleicht sollte er doch seine gestern Abend kläglich gescheiterten Annäherungsversuche etwas intensivieren.
Nach einigen Sekunden des Nachdenkens öffnete er zwei weitere Türen, hinter denen sich ein Badezimmer und ein Abstellraum verbargen. Es gab allerdings nichts, was auf Anhieb interessant erschien. Dann jedoch fiel ihm ein, dass er etwas ganz Wichtiges bisher nicht gesehen hatte: den Waffenschrank, wie ihn Jäger und Sportschützen besitzen mussten.
Linkohr vermutete ihn im Keller, stieg rasch abwärts und betrat das Untergeschoss durch eine Metalltür. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Als er die Leuchtstoffröhren aufblitzen ließ, entdeckte er die üblichen Haushaltsmaschinen, die Zentralheizung samt einem neun Tonnen fassenden Pelletssilo und eine kleine Werkstatt, in der tatsächlich das gesuchte Objekt stand: ein massiver Waffenschrank, der mit Kombinationsschloss gesichert war.
Linkohr stellte zufrieden fest, dass sich die Tür nicht öffnen ließ.
Er löschte die Lichter wieder und ging zu den Kollegen im Erdgeschoss zurück, die inzwischen die beschlagnahmten Gegenstände zu einem Kombi trugen, der vor dem Haus parkte.
»Mike!« Es war die Stimme eines Kollegen, der nach ihm verlangte. Linkohr traf den Beamten unter der Haustür. »Wir haben da etwas gefunden, was dich interessieren könnte.« Mit einer Handbewegung forderte er Linkohr auf, in das Büro zu gehen, wo auf dem Schreibtisch ein durchsichtiger Plastikbeutel der Spurensicherung lag. In ihm befand sich ein blaues Schlüsselmäppchen mit nur einem einzigen Schlüssel. »Das war in der Schreibtischschublade«, sagte der Kollege.
Linkohr hob den Beutel hoch. »Es sieht nach einem Hausschlüssel aus, würde ich sagen«, stellte er fest.
»Davon kann man ausgehen«, erwiderte der andere Kriminalist, »aber er passt hier im Haus zu keiner Tür. Außerdem handelt es sich um ein völlig anderes System, das nicht zu dieser Schließanlage hier gehört.«
»Und schon stellt sich die Frage«, konstatierte Linkohr, während er den Beutel wieder auf den Tisch zurücklegte, »warum Hartmann diesen Schlüssel nicht an seinem Schlüsselbund hatte, sondern ihn getrennt aufbewahrte.«
»Sehr richtig, Herr Kollege«, grinste der andere.
Kugler hatte sich nicht umgeblickt, als er von der Haustür zur Garage hinüber gegangen war. Er fühlte sich erschlagen und gedemütigt und bereits von
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