Machtkampf
gehen.«
Sander entschied, Häberles Vorschlag, sich zunächst in Rimmelbach umzuhören, nicht preiszugeben. Ebenso wenig wollte er verraten, von wem er wusste, dass der Mann, der die Leiche entdeckt hatte, aus Rimmelbach stammte. »Der Herr Melzinger«, er hatte sich den Namen sofort eingeprägt, als Häberle ihn genannt hatte, »ist wohl ganz zufällig an dem Hochsitz vorbeigekommen.«
»Zufällig. So kann man das sagen, ja. Er hat geackert und ihm ist aufgefallen, dass die Fensterscheibe zerschlagen war.«
»Fensterscheibe im Hochsitz«, konstatierte Sander, »ist es denn hier oben üblich, dass die Hochsitze solche Ausmaße haben und mit Fenstern ausgestattet sind?«
Benninger lächelte. »Nun ja, üblich nicht. Aber wenn Sie sich umschauen, Herr Sander, entdecken Sie alle möglichen Konstruktionen. Drüben in Steinenkirch hat einer sogar einen kleinen fahrbaren Hochsitz aus Metall, den er zusammengeklappt an die Anhängerkupplung des Autos hängen kann. Andere bauen sich überdachte oder offene Hochsitze. Und der Herr Hartmann hat’s halt ein bisschen bequemer gewollt. Obwohl das die Behörden und die Kreisjägervereinigung nicht so gerne sehen.«
»Theoretisch konnte Hartmann da drin übernachten.«
»Nicht nur theoretisch«, grinste der Bürgermeister. »Der Hartmann war allein, ein ergrauter Junggeselle. Da hat er schon mal in seinem ›Baumhaus‹ übernachtet.«
Sander überlegte, ob er die Frage stellen sollte, die ihm auf der Zunge lag. Beim Blick in Homsheimers Gesicht war ihm klar, dass auch ihn dasselbe interessieren würde.
Sander entschied sich für diplomatisches Vorgehen. »Dann wäre vielleicht auch denkbar, dass die gesuchte zweite Person eine Dame sein könnte.«
»So ungefähr, ja. Aber zitieren Sie mich um Gottes willen nicht.«
»Man sagt, der Hartmann sei ziemlich vermögend gewesen. Viehhändler. Ich hab mir so was immer ein bisschen anders vorgestellt. Mit großem Lkw und so. Einer, der die Schweine und Rinder auf dem Hof abholt und zum Schlachthof transportiert.«
»Landläufig denkt man so, ja. Aber heutzutage ist das alles weniger romantisch, wenn man in diesem Zusammenhang von Romantik sprechen kann. Die Kleinen sind verschwunden und die Großen werden größer, wie überall, Herr Sander. Oder ist das bei den Zeitungen anders?«
»Und Hartmann war demnach ein Großer?«
»Ich würde sogar sagen: ein ganz Großer. Er hat im großen Stil mit Vieh gehandelt, landes- und bundesweit. Ja, sogar in der ganzen EU. Transportiert haben aber andere.«
»In der ganzen EU«, echote Sander. »Sicher ganz schön kompliziert – mit all den Bestimmungen.«
Benninger legte die Stirn in Falten und verschränkte die Arme. »Es ist wie überall im Leben heute: Wer sich im bürokratischen Dschungel auskennt und auf der Klaviatur von Verboten und Bestimmungen zu spielen versteht, ist immer im Vorteil.«
Sander staunte, wie geschickt der Mann zum Ausdruck bringen konnte, dass man hierzulande nur die Schlupflöcher kennen musste, um, hart an der Illegalität entlangschrammend, im wahrsten Sinne des Wortes ein ›Schweinegeld‹ verdienen zu können. Und mit schöner Regelmäßigkeit empörten sich darüber auch Politiker. Aber keiner tat etwas – was wiederum den Argwohn nährte, dass sie nicht ganz ohne Eigennutz untätig blieben. So oder so ähnlich hatte es Häberle mal formuliert, dachte er.
»Wie waren die Beziehungen Hartmanns nach Rimmelbach?«, blieb Sander sachlich.
»Die waren so wie in all die anderen Albdörfer hier. Natürlich hat Hartmann nicht auf die paar Stück Vieh der Kleinbauern gesetzt, sondern auf die Herden der großen Bauern. Hier im näheren Umkreis hat er sicher auch einige persönliche Kontakte gepflegt. Aber, wie gesagt, seine wirklich großen Geschäfte hat er anderweitig gemacht.«
»Und bei Ihnen in Rimmelbach gibt es ganz Große?«
»Nur einen. Ich würde Ihnen sogar empfehlen – wenn Sie mehr über Hartmann wissen wollen –, mit diesem zu sprechen. Heiko Mompach vom Hochsträßhof. Übrigens mein Stellvertreter. Ein umgänglicher Typ. Rau, aber herzlich. Auch wenn manche das anders sehen.«
Homsheimer sah auf die Uhr. Sie mussten gehen, um rechtzeitig um elf bei der Pressekonferenz in Geislingen zu sein.
»Es verschwinden immer mehr kleine Landwirte«, resümierte Sander nach den Schilderungen Benningers.
»So ist es. Wer nicht mit den EU-Normen Schritt gehalten hat, bleibt auf der Strecke.« Er seufzte in sich hinein. »Man kann von der
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