Machtkampf
Aber momentan ist er nirgends zu erreichen. Übrigens dieser Großbauer auch nicht, dieser Mompach.«
»Macht Urlaub«, gab Sander preis, » angeblich . Angeblich weiß niemand, wo genau er sich aufhält. Die einen munkeln was von den Kanaren, andere sagen Russland oder Thailand. Seine Frau hat das Telefon gleich aufgelegt, als ich angerufen habe.«
»Da gibt es noch was – und das möchte ich dir nicht verheimlichen, weil wir doch in dieser Sache bisher ziemlich gut zusammengearbeitet haben.« Sie lächelte. »Wie ich aus Stuttgarter Medienkreisen erfahren habe, du weißt, dahin habe ich gute Beziehungen«, sie blinzelte spitzbübisch, »sind die ›wilden Jungs‹ des großen Boulevardblatts auch heftig am Rühren. Sie wollen rausgekriegt haben, dass eben dieser Großbauer mit seinem ›Jagdspezl‹, dem Viehhändler Hartmann, oft gemeinsam große Reisen gemacht hat. Zwar auch zum Vergnügen, okay, aber insbesondere der Hartmann soll dabei nicht nur frisches Fleisch zum Schlachten importiert haben, sondern auch für andere Zwecke.« Sie grinste jetzt übers ganze Gesicht.
»Du meinst …?«
»Junge Frauen, mein Lieber. Unter dem Vorwand, ihnen lukrative Jobs im goldenen Westen anzubieten. In der Gastronomie. Oder soll ich besser sagen: in der ›Event‹-Gastronomie des Rotlichts?«
»Man munkelt von Begleitservice und so …«, warf Sander ein, denn von derlei Gerüchten hatte ihm ein junger Mann in Rimmelbach erzählt.
»Auch, ja. Aber der dickste Hammer wäre das andere. Hartmann soll einen ganzen Callgirlring aufgezogen haben – so nennt man das, glaube ich. Und einen bundesweiten Vertrieb von Anabolika aufgebaut haben.«
Sander überlegte insgeheim, wie er diese Informationen in einem seriösen Heimatblatt für die eher konservative Leserschaft sachlich und emotionslos aufbereiten konnte – ohne sich dem Vorwurf des Boulevard-Journalismus auszusetzen oder andererseits gemaßregelt zu werden, dies alles viel zu dezent erwähnt zu haben, wo doch die Boulevard-Presse das Thema gewiss mit riesigen Schlagzeilen bis ins letzte Detail ausschlachtete.
»Aber was könnte das alles mit dem Pfarrer und Manuel zu tun haben?«, überlegte Sander und spürte mal wieder, wie klein doch die Welt im heimischen Bereich war – und dies in einer Zeit, in der die globale Vernetzung per Satellit oder über ein paar Kabeldrähtchen bis in den letzten Winkel einer landwirtschaftlichen Ansiedlung reichte.
Kerstin nahm den letzten Schluck Cappuccino, sah sich prüfend um und beugte sich über den Tisch, um Sander zuzuflüstern: »Weißt du, was ich glaube?« Sie gab gleich die Antwort dazu: »Der Pfarrer hat diese Machenschaften durchschaut und sollte aus dem Weg geräumt werden.« Sander sah Kerstin verständnislos in die großen Augen, worauf sie anfügte: »Man versucht, ihm mit allen Mitteln etwas in die Schuhe zu schieben. Den Tod von Manuel – und sogar die große Kerze aus der Kirche –, du erinnerst dich, damit wurde in Mompachs Scheune vermutlich eine versuchte Brandstiftung vorgetäuscht – sollte auf ihn hindeuten.«
Franziska Kugler ging in der Wohnung auf und ab. Seit Stunden versuchte sie, ihren Ehemann zu erreichen. Dutzende Male schon hatte sie seine Handynummer gewählt, doch immer dasselbe: Der Teilnehmer meldet sich nicht, lautete die Ansage. Natürlich hatte Dieter nie seine Mailbox aktiviert – und außerdem neigte er dazu, das Gerät auszuschalten, sobald er seine Ruhe brauchte und nicht gestört werden wollte. Aber er war doch nur zu diesem Rechtsanwalt gefahren.
Gleich nach der Mittagspause der Kanzlei hatte Franziska Kugler dort jemanden erreicht. Herr Kugler, so wurde ihr beschieden, sei bereits gegen elf Uhr wieder gegangen. Natürlich ohne zu sagen, wohin.
Frau Kugler hatte aufgelegt und war in ihren Sessel gesunken, wieder aufgestanden, durchs Haus gegangen, hatte aus dem Fenster die Straße hinabgeschaut, gebetet und gefleht, er möge sich endlich melden. Noch wollte sie ihre erwachsenen Kinder nicht damit behelligen. Beide wohnten weit entfernt, in Leipzig und Potsdam, und wären ihr jetzt ohnehin keine Hilfe.
Sie goss sich heißen Tee ein, versuchte, sich innerlich zu beruhigen. Sie kannte Dieter lange genug, um zu wissen, dass er diese spontanen Auszeiten brauchte. Doch meist hatte er sie dazu genutzt, eine Predigt aufs Diktiergerät zu sprechen oder sich für eine Beerdigung vorzubereiten. Auch an seine nächtlichen Fahrten hatte sie sich gewöhnt, obwohl sie dann
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