Machtkampf
Unser Bürgermeister Benninger war aber genauso wie ich auf der Beerdigung vom Hartmann. Er muss demnach die Rede dieses Bogenschützenmenschen gehört haben – und demzufolge wissen, dass sich Hartmann fürs Bogenschießen interessiert hat.«
»Sie sind spitze«, lobte Häberle spontan.
Im Lagezentrum der Polizeidirektion Ulm hatte der Anruf von Franziska Kugler den Polizeiführer vom Dienst aufhorchen lassen. Nachdem die wichtigsten Daten notiert waren, wurde ihm der Ernst der Lage zunehmend klar.
»Das ist der Ex-Pfarrer von Rimmelbach. Wohnt jetzt vorübergehend in Halzhausen«, informierte er einen Kollegen. »Gib das mal auch den Geislingern durch. Soweit ich gehört habe, ist das ein Fall von Häberle.«
»Was? Von dem berühmten Häberle?«
»Ja, genau der«, zeigte sich der Mann in der Einsatzzentrale genervt, denn er musste bereits einen weiteren Notruf entgegennehmen. In den frühen Abendstunden nahm die Zahl der Anrufe zu, wenngleich es sich oftmals nur um ärgerliche Lappalien handelte. Gerade erst hatte eine junge Frau auf diese Weise ihre verlorene Kreditkarte sperren lassen wollen. In solchen Fällen galt es, höflich, aber bestimmt darzulegen, dass die Polizei dafür der falsche Ansprechpartner war.
»Kuglers Frau sagt, ihr Mann sei seit elf heut früh abgängig«, erklärte er, bevor er sich dem neuerlichen Anruf zuwandte.
Bereits eine halbe Minute später traf die Vermisstenmeldung auch bei der Polizeidirektion Göppingen ein, von wo aus Häberle in der Kriminalaußenstelle Geislingen informiert wurde. »Die Ulmer wollen, dass wir die Sache federführend übernehmen«, teilte ihm die Einsatzzentrale mit. »Kugler wohnt nur vorübergehend im Alb-Donau-Kreis – in Halzhausen –, aber die Ulmer meinen, das könnte mit unserem Fall in Rimmelbach zusammenhängen.«
»Das liegt nahe«, brummte Häberle und fügte an: »Dem Chef Bescheid sagen und vergesst die Staatsanwaltschaft nicht.« Dann beendete er das Gespräch und berichtete den Kollegen der Sonderkommission von der neuesten Entwicklung. Linkohr und Vanessa, die mittlerweile von ihrer Vernehmungstour zurückgekehrt waren, sahen sich erschrocken an. »Da haut’s dir ’s Blech weg«, kommentierte der junge Kriminalist das Gehörte. »Das wär der Dritte.«
Häberle hatte Linkohrs Bemerkung vernommen: »Der Dritte?«
»Ja, der Dritte, der in den Tod getrieben wird«, erklärte Linkohr und musste an Stefanie Marquarts verstorbenen Ehemann denken und an ihre Bemerkung, Hartmann sei in den Tod getrieben worden.
Häberle entschied: »Wir lösen eine Suchaktion aus.« Er sah zum Fenster und stellte fest, dass die Novembernacht bereits hereingebrochen war. Sofern es auf der Alb keinen Nebel hatte, konnte man wenigstens vom Hubschrauber aus mit der Wärmebildkamera suchen.
In Hua Hin graute bereits der Morgen. Mompach hatte keine Ruhe gefunden. Es war für ihn der Tag der Entscheidung – eine Bezeichnung, die sich ihm während der nächtlichen Albträume in sein Unterbewusstsein gebrannt hatte. Tag der Entscheidung. Doch wie er die nächste Nacht durchstehen würde, war völlig ungewiss. Und was ihn danach erwartete, erst recht. Am gestrigen Abend hatte er noch im Internet die Heimatzeitung aufgerufen und Sanders Artikel in der Montagausgabe gelesen. Offenbar gab es in Rimmelbach erhebliche Unruhe. Sogar sein Name war in dem Bericht aufgetaucht. ›Besitzer des abgebrannten Hauses ist Heiko Mompach, größter Landwirt des Ortes und auch Mitglied des Gemeinderats. Da er sich derzeit im Urlaub befindet – vermutlich auf den Kanaren –, konnte er bislang nicht erreicht werden‹, hatte es darin geheißen. Weitere Hinweise auf die Brandursache oder auf die polizeilichen Ermittlungen suchte Mompach vergeblich. Er malte sich aus, wie es sein würde, wenn er – wie geplant – in zwei Wochen wieder auftauchen würde. Vermutlich würde er mit allergrößten Vorwürfen konfrontiert. Wieso er sich nicht gemeldet habe, warum er sein Handy immer abschalte und weshalb er seiner Frau nicht mal das Hotel nenne, in dem er Urlaub mache. Sie würden sich die Mäuler zerreißen, dachte er, denn all die kleinbürgerlichen Menschen konnten natürlich nicht verstehen, was es bedeutete, in der großen weiten Welt unterwegs zu sein. Er hatte dies ja auch nur dank seines Freundes Hartmann genießen können. Es war ihm vergönnt gewesen, ein klein wenig an der Welt der Reichen und Mächtigen zu schnuppern. Mehr aber auch nicht.
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