Machtkampf
Zurückhaltung üben – und deshalb möchten wir Ihnen helfen.«
Kowick sah sie mit eisigem Gesicht an. Er war unrasiert, nicht gekämmt, die Wangen eingefallen. Die Zahl seiner Lidschläge nahm zu, er kniff die Lippen zusammen und blickte sich um, als ob er nach einem Gegenstand suchte, mit dem er sich würde wehren können. Zumindest hatte Linkohr diesen Eindruck und ärgerte sich, die Dienstwaffe nicht mitgenommen zu haben. Er wusste, dass auch Vanessa unbewaffnet war.
Hingegen war Kowick zuzutrauen, dass er in einer seiner vielen Taschen des Arbeitsanzugs eine Pistole bei sich trug. Aber was würde es ihm nützen, sie beide niederzuschießen, überlegte Linkohr. Außerdem war keinerlei Motiv für sein merkwürdiges Verhalten zu erkennen.
»Herr Kowick«, versuchte es Vanessa mit sanfter Stimme noch einmal, »wir könnten jetzt auch gehen und Sie einfach allein lassen mit Ihren Problemen. Wahrscheinlich brauchen wir auch Ihre Aussage gar nicht – aber glauben Sie mir, geholfen ist Ihnen damit nicht.«
Der Mann öffnete den Mund und holte tief Luft. Dann wandte er den Kopf leicht zur Seite, ohne die Kriminalistin aus den Augen zu lassen.
Linkohr schätzte die Lage als äußerst gefährlich ein und überlegte, ob Kowick unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand und somit völlig unberechenbar sein würde.
Noch einmal verstrichen endlos lange Sekunden, bis Kowick seine Situation erfasste und schließlich ein »Okay« hervorpresste. Es klang allerdings nicht überzeugend, sondern eher gefährlich und wie der Auftakt zu einem Duell.
Linkohr stand angespannt neben ihm, während Vanessa einen bewundernswerten lässigen Eindruck machte. »Es gab also einen Einbruch bei Ihnen«, begann sie genau so, wie sie es in den Deeskalationskursen gelernt hatte, und behielt ihr Gegenüber im Auge. »Da war jemand bei Ihnen, den Sie vielleicht kennen und der Ihnen etwas gestohlen hat.« Dass sie bereits wussten, dass es die Akte seines Kindes Manuel war, wollte sie ihn zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen lassen.
»Ich hab ihn nicht gekannt«, sagte Kowick leise. »Ich hab ihn nur gehört. Ich lag im Bett. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob es ein Mann war oder eine Frau.« Aus Kowicks Gesicht wich die Anspannung der vergangenen Minuten. Er nahm eine Hand aus der Hosentasche und kratzte sich an der linken Wange. »Was würden Sie denn tun, wenn Sie allein in diesem alten Haus wohnen würden und merken, dass nachts jemand durch das Wohnzimmer schleicht?«
Linkohr nickte beipflichtend. »Man darf in solchen Situationen nicht den Helden spielen.«
Kowick zeigte sich über diese Bemerkung erleichtert. »Das war vor vier Wochen, als der ganze Ort hier verrückt gespielt hat und alle geglaubt haben, jemand habe den Hartmann erschossen und der Täter laufe hier irgendwo frei herum.«
»Das kann ich nachvollziehen«, sagte Vanessa. »Sie hatten also Angst und wollten die Sache auf sich beruhen lassen.« Sie war dabei, ihm eine goldene Brücke zu bauen.
»Ja, so war es«, ging Kowick bereitwillig darauf ein, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er damit weitere Fragen provozierte.
»Was haben Sie denn geglaubt, was Sie zu befürchten hätten?«
»Keine Ahnung«, er zuckte mit den Schultern, »aber wissen Sie, ich möchte hier möglichst wenig Ärger haben, denn ich werde nicht mehr lange hier wohnen. Ich möchte mich auch mit niemandem mehr anlegen, verstehen Sie? Manchmal glaube ich, ganz Rimmelbach ist ein Tollhaus.«
Vanessa nickte wieder verständnisvoll. »Hat man denn nach Geld gesucht?«, fragte sie.
»Vermutlich, davon geh ich aus. Aber man muss schon ziemlich schwachsinnig sein zu vermuten, in dieser Bruchbude gäbe es Reichtümer zu stehlen.«
»Ist Ihnen denn etwas abhandengekommen?«, wollte Linkohr wissen.
»Ob mir was …?« Jetzt zögerte er merklich, befeuchtete sich die Lippen und sagte: »Man hat drei oder vier Ordner mitgenommen – mit Unterlagen von meiner Landwirtschaft, mit Lieferscheinen und Rechnungen und so weiter. Alles wahllos aus meinem Schrank rausgezogen.«
»Wahllos? Wie darf ich das verstehen?«, fragte Linkohr.
»Na ja, aus meinem Wohnzimmerschrank, in dem ich den ganzen Papierkram aufbewahre. Vielleicht hat jemand gehofft, dort seien Kreditkarten drin – oder Bankkarten.«
»Alles sozusagen nur Geschäftsunterlagen, die verschwunden sind?«, hakte Vanessa nach.
»So kann man das sagen – für jeden unnütz, falls er nicht gerade von der Steuerfahndung ist und mir
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