Machtlos
drang wie durch Watte zu ihr hindurch und hallte merkwürdig nach.
Sie spürte, dass der Schild hielt.
Noch.
Wilde Flüche und erneute Schüsse.
Victorias Kräfte waren am Ende.
Ihre Konzentration bröckelte.
Der Zauber entglitt ihr.
Dann rissen die Nebel auf. Eine mächtige Präsenz tauchte unsichtbar über dem Ehrendenkmal auf.
„Abrexar!“ , dachte sie dankbar.
Als sie kaum noch etwas sehen konnte, hörte sie angstvolle Rufe der angeblich so harten Jungs hinter der Tür.
Auch Kerstin wurde von einer panischen Furcht ergriffen und stolperte rückwärts Richtung Tür.
Mächtige Drachenschwingen drückten den Regen nach unten. Victoria taumelte in die Mitte der umzäunten Aussichtsplattform. Abrexar würde hier kaum landen können.
Mit letzter Kraft pflanzte sie Vertrauen in Kerstins Kopf und sagte: „Alles wird gut! Keine Angst – lass dich von ihm tragen! Komm her zu mir.“
Kerstin wusste nicht, was hier geschah, doch auf seltsame Weise beruhigt, folgte sie Victoria. Was sollte sie sonst auch tun?
„Gut so“, murmelte Victoria.
Sie spürte, wie eine Drachenklaue sie vorsichtig umschloss und sie in die Höhe zog. Sie konnte schon nichts mehr sehen, doch sie hörte Kerstin entsetzt aufkreischen.
„Geschafft!“ , war ihr letzter Gedanke.
Dann schwanden ihre Sinne und gnädige Schwärze umfing sie.
22. Katerstimmung
Als Victoria aufwachte, nahm sie den intensiven Geruch von aufgelöstem Zimtextrakt wahr. Erleichtert bemerkte sie, dass sie noch immer im Geist ihres Gefährten war, der jedoch gerade schlief. Jaromir ging es gut, er war nur völlig zerschlagen.
Zögerlich schlug sie die Augen auf – „Aua!“ – und machte sie gleich wieder zu. Das Tageslicht stach unangenehm grell in ihren Augen. „Oh Mann, was habe ich für Kopfschmerzen?! Mist. … Naja, kein Wunder…“
Langsam kamen die Erinnerungen an Laboe zurück. Sie bewegte sich vorsichtig. Wie erwartet, hatte sie Kopfschmerzen, in jeder Faser ihres Körpers Muskelkater und fühlte sich wie gerädert.
„Das sind eindeutig die Folgen von exzessivem Magiegebrauch. Innerhalb von vier Monaten passiert mir das jetzt zum dritten Mal. Ich lerne es einfach nicht!“ , dachte sie spöttisch.
Dann hörte sie eine gedämpfte Stimme, die sie nicht zuordnen konnte: „Ich glaube, sie wird wach. Gib ihr am besten gleich den Zimtextrakt.“
„Ja, du hast recht, Mandolan.“
Das war Narex‘ Stimme.
„Narex ist hier? … Wo bin ich überhaupt?“
Victoria biss die Zähne zusammen und öffnete die Augen erneut.
„Das sieht irgendwie nach Jaromirs Schlafzimmer aus, aber ich liege nicht in seinem Bett“ , stellte sie verwirrt fest.
Sie versuchte, sich etwas aufzurichten und umzusehen.
Sie lag auf dem Polster einer Gartenliege auf dem großen beheizbaren Mosaik im Schlafzimmer. Direkt neben ihr lag Jaromir in Drachengestalt und schlief. Ein Stück abseits standen Narex und ein anderer Mann und blickten neugierig zu ihr rüber. Narex hatte, wie schon bei seinem Besuch am Montag, die Menschengestalt eines Mittvierzigers, war leger gekleidet und hätte vom Aussehen und Verhalten gut in einen Bioladen oder einen Dritte Welt Shop gepasst.
Der andere war so um die fünfzig und trug Anzug und Krawatte. Er machte auf den ersten Blick einen sehr korrekten Eindruck, wirkte fast schon steif. Sie erinnerte sich, dass einer der schwarzen Drachen, die sie in Nordschweden unterstützt hatten, Mandolan hieß – jedenfalls stand ein Mandolan mit einer solchen Anmerkung auf der Gästeliste für ihre Hochzeit. Seine aktuelle Menschengestalt kannte sie nicht.
Stöhnend sank sie wieder auf das Polster zurück und schloss die Augen.
Aber da kam auch schon Narex mit einem großen Becher aufgelöstem Zimtextrakt. „Komm, Victoria. Trink das und es wird dir gleich besser gehen.“
Sie wollte das Zeug nicht schon wieder trinken. Es war einfach widerlich – auch wenn sie aus Erfahrung wusste, dass es half.
„Wie geht es Kerstin?“, krächzte sie mit belegter Stimme, anstatt zu trinken.
„Ihr ist nichts passiert. Sie liegt im Gästetrakt und schläft wahrscheinlich“, antwortete Narex.
„Lenir?“, wollte Victoria wissen.
„Auch dem geht es gut. Er ist zwar völlig erschöpft, will aber nicht von Kerstins Seite weichen“, gab Narex zurück. Er hielt ihr nachdrücklich den Becher hin.
Doch Victoria fragte weiter: „Hoggi?“
Narex grinste. Er durchschaute ihr Spiel. „Hoggi ist ebenfalls erschöpft und ruht sich in seinen Räumen aus.
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