Machtlos
mal meine wahre Gestalt zeigen. Wie soll sie sich denn jemals zu mir bekennen können, wenn sie gar nicht weiß, wer ich bin?!“
Victoria nickte. Die Situation war verfahren. „Soll ich vielleicht mal mit ihr reden?“, schlug sie vor und legte tröstend ihre Hand auf seinen Arm.
Er schloss erschöpft seine Augen. Als er sie wieder öffnete, glitzerten Tränen darin. Sein Gesicht war vor Sorge und Erschöpfung verzerrt. Dann nickte er resigniert. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
„Und du legst dich in der Zeit hin und versuchst eine Runde zu schlafen.“ sagte Victoria bestimmt.
Er zog hörbar Luft durch die Nase ein und rang mit sich.
„Du kannst jetzt ohnehin nichts für sie tun. Sobald sie dich sehen will, wecke ich dich sofort, versprochen!“ Lächelnd fügte sie noch hinzu: „Es ist doch besser, du bist fit, wenn du wieder zu ihr gehst, oder?“
Tatsächlich war Victoria nach Lenirs Beschreibung alles andere als sicher, dass ihr Gespräch mit Kerstin dazu führen würde, dass die ihn sehen wollte, aber das konnte sie Lenir nicht sagen.
Er sah Victoria prüfend an. „Aber du weckst mich wirklich“, forderte er ernst.
Sie nickte.
Er seufzte tief und flüsterte: „Also gut. Ich kann hier ja doch nichts ausrichten. … Das ist kaum zum Aushalten!“ Unschlüssig sah er sie an. Dann gab er sich einen Ruck, drehte er sich um und ging den Gang hinunter.
Victoria sah ihm nach. Sie hoffte inständig, dass sich die Sache zwischen den beiden einrenken würde. Ansonsten wären die Konsequenzen schrecklich.
Sie seufzte und klopfte an Kerstins Tür.
Es kam keine Antwort, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Vorsichtig öffnete sie die Tür und ging ins Zimmer. Kerstin lag auf dem Bett und schlief. Anscheinend hatte Lenir jedoch seinen Zauber gelöst, denn sie begann sich zu bewegen.
Victoria nahm sich einen Stuhl und setzte sich ans Bett. Selbst jetzt im Schlaf konnte sie ihre Unruhe spüren.
Nach ein paar Minuten schlug Kerstin verwirrt ihre Augen auf.
Sie sah Victoria an und dachte beim Anblick ihrer Freundin erleichtert: „Victoria ist da – Gott sei Dank!“
„Hi“, sagte Victoria leise und lächelte.
Kerstin lächelte schlaftrunken zurück.
Dann kamen langsam ihre Erinnerungen wieder.
Ihre Miene verdüsterte sich.
Victoria sah, wie bestürzt Kerstin über die Erlebnisse mit den Motorradfahrern war. Die wilde Flucht auf das Ehrendenkmal und auch Victorias merkwürdiges Verhalten schockierten sie noch immer. Sie verstand nicht, was da oben passiert war, aber dass die Tür dem Ansturm der Rocker nicht hätte standhalten dürfen, war ihr sehr bewusst.
Dann die schreckliche Angst, als sie plötzlich von etwas Unsichtbaren in die Luft gezogen wurde. Zum Glück war sie kurz nach dem Start in Ohnmacht gefallen…
Und nun auch noch Lennard, der Jaromir angeblich schon ewig kannte. Dahinter steckte offensichtlich noch etwas anderes und sie war sich nicht sicher, ob sie das wissen wollte. Überhaupt passierten in ihrem Leben gerade Dinge, die eigentlich gar nicht passieren KONNTEN. Dass alles war nicht logisch zu erklären. Offenbar wurde sie verrückt!
Und dann: Lennard hatte ihr etwas vorgespielt! Er hatte sie belogen. Und Victoria steckt auch noch mit drin. Alles war verworren. Sie verstand es nicht. Sie wünschte sich, sie wäre nie nach Laboe gefahren. Sie wollte ihr altes Leben zurück. Das, welches sie begriffen hatte!
Kerstin setzte sich auf und blickte sie misstrauisch an. „Gehörst du auch zu «denen»?
Victoria nickte. „Ja. Ich gehöre zu Jaromir und ich weiß, wer er ist. Aber ich bin nicht wie er oder wie Lennard. Ich bin ein Mensch, wie du.“
Enttäuschung sprach aus Kerstins Gesicht. „Ich kenne Victoria schon so lange. Ha! Ich habe nur geglaubt, dass ich sie kenne– sie hat mich über all die Jahre getäuscht!“
„Nein, das habe ich nicht Kerstin!“, antwortete Victoria auf die Gedanken ihrer Freundin.
Nun verschloss sich deren Miene erst recht. Kerstin war klar, dass sie ihre Worte nicht laut gesagt hatte. Offensichtlich konnte sich Victoria telepathisch mitteilen und Gedanken lesen – genau wie ihr unheimlicher Professor. Dessen war sie sich jetzt hundertprozentig sicher.
Victoria wollte noch weitersprechen, doch Kerstin wollte nicht hören, was sie zu sagen hatte. Sie stand auf und wollte den Raum verlassen. „Ich muss hier raus! Sonst werde ich noch verrückt!“
„Ich darf sie nicht gehen lassen!“ , dachte Victoria und hielt sie am Arm
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