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Machtrausch

Machtrausch

Titel: Machtrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer C. Koppitz
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Eine Rarität.
    »Alois, ich arbeite heute lieber von zu Hause aus weiter. Ich lasse aber mein Mobiltelefon an .« Anton packte täuschungshalber ein paar Unterlagen in seine Leder-mappe und ließ den hämischen Kommentar seines Kollegen – »Ja, ja, gönn dir mal ein verlängertes Wochenende! Aber, wie ich dich Ehrgeizling kenne, arbeitest du heute wirklich noch stundenlang zu Hause weiter !« – unbeantwortet im Raum stehen. Er hatte nicht vor, an diesem Freitag noch viel zu arbeiten. Glock wollte sich vielmehr um seine Frau kümmern, die ihr Geschäft heute nicht geöffnet hatte. Und er benötigte unbedingt etwas Zeit, um über den Drohbrief und seine von Nagelschneider geforderte Antwort am Montag nachzudenken. Das passende Gesetz dazu? Es gibt nichts Befriedigenderes, als in kritischen Situationen schnell zu handeln, irgendwie zu handeln. Aber es gibt nichts Klügeres, als genau dann erst einmal nicht zu handeln. Sondern alles in Ruhe zu durchdenken. Und genau das hatte er vor.

     
    Auf dem Nachhauseweg stieg er spontan in der Innenstadt, Haltestelle Odeonsplatz, aus, versuchte zweimal Barbara zu Hause anzurufen – sie verweigerte ein Handy, denn »der wahre Luxus ist, nicht immer erreichbar zu sein !« – und wanderte ziellos durch den Hofgarten. Eine schöne Parkanlage unmittelbar zwischen Odeonsplatz, der Münchner Residenz und der bayerischen Staatskanzlei, gegen die das Weiße Haus in Washington wie der Sitz eines Drittweltstaates wirkte. Wie immer, sobald die Sonne sich zeigte, saßen auf den zahlreichen Bänken zwischen den herbstlichen Blumenbeeten Studenten, Beamte in verspäteter Frühstücks- oder verfrühter Mittagspause und Unmengen müßiger, gut angezogener Menschen im besten, erwerbsfähigen Alter, die gar nicht alle Urlaub haben konnten. Er fragte sich einmal mehr, wie all diese Menschen den späten Freitagvormittag hier verbringen konnten und nicht in irgendeinem Büro vor einem Computer sitzen mussten. Oder an einem Fließband stehen. Oder in einem Callcenter telefonieren. In Deutschland schien die Situation – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit und gänzlich unbemerkt von der Regierung – in den vergangenen Jahren gekippt zu sein. Man konnte die Menschen grob in zwei Gruppen einteilen: Die einen lebten von den anderen . Anders gesagt: Zur ersten Gruppe gehörten neben Arbeitslosen auch Rentner, Studenten, Schüler, Hausfrauen. All jene, die von dem lebten, was die zweite Gruppe, die Arbeiter, Angestellten, Selbstständigen und Beamten an Sozialabgaben und Steuern abführte. Erstmalig seit dem letzten Krieg waren jetzt diejenigen Deutschen in der Mehrheit, die mit offenen Händen in die Kassen griffen, aber selber im Moment nichts einzahlten. Wie lange konnte sich der Staat ein solches Ungleichgewicht leisten? Mehr als fünfzig Prozent der Deutschen ließen sich von der Minderheit der anderen Bürger ernähren, sich die Wohnung, die Medikamente, die Schuhe, den Farbfernseher und die Handyrechnung bezahlen – und genossen die Sonne im Hofgarten. Barbara hatte dazu eine ganz andere Meinung, wie Glock sehr wohl wusste.

     
    Er setzte sich auf den Sockel eines Musendenkmals mit Blick auf die architektonisch mächtige Staatskanzlei und versuchte erneut seine Frau anzurufen. Nach dem fünften Klingeln nahm sie ab und klang so fröhlich wie eh und je. Barbara hatte das Glücksgen in sich und war nicht unterzukriegen.
    »Am Nachmittag mache ich den Laden wieder auf! Ich lasse mich nicht einschüchtern und bin jetzt sicher, dass es diese Schutzgelderpresser waren. Ich werde mir die Nummer der Polizei fest ins Ladentelefon einprogrammieren und mir Tränengas zulegen, dann werden wir ja sehen !« Glock widersprach ihr nicht und versprach, nachmittags im Laden vorbeizuschauen. Bis dahin hatte er noch etwas vor.

     
    Vor knapp zehn Jahren hatte der damals fünfundzwanzigjährige Glock ein Verhältnis mit einer acht Jahre älteren Frau gehabt. Renate Polster, seinerzeit die Geschäftsführerin einer Tochterfirma von Schuegraf. Die Firma bot industrielle Dienstleistungen wie die Wartung von Produktionsanlagen und Gewerbeimmobilien an und war hochprofitabel gewesen. Glock als frisch promovierter Newcomer bei Schuegraf hatte gerade in der zentralen Hausrevision angefangen, die im Auftrag der Unternehmensleitung einige Töchter des Konzerns revidierte, also unter die Lupe nahm und darüber einen Bericht mit Handlungsempfehlungen verfasste. Die Revision galt als Karrieresprungbrett und der

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