Machtrausch
Neuigkeit ist, dass man mir den Job von Röckl angeboten hat. › Leiter der zentralen Unternehmensstrategie ‹ – klingt doch gut, oder!? Darauf habe ich die letzten fünf Jahre hingearbeitet .« Noch während er das aussprach, überlegte er zweifelnd, wie viel er Renate erzählen sollte. Schließlich war er nicht der Einzige, dem sie verpflichtet war. Ihre exzellenten Kontakte zu den innersten Kreisen des Konzerns konnten ihm nutzen oder ihn, wenn es dumm laufen sollte, die Karriere kosten. Schließlich entschied er sich für eine Taktik des schrittweisen Vorgehens. Eines seiner schwächeren Gesetze besagte, dass man einen großen Bären, wollte man ihn unbedingt durch einen Zirkusring werfen (wozu sollte das eigentlich gut sein?), zunächst in kleine Stücke zerteilen musste.
»Glückwunsch! Ich wusste ja immer, dass du das gewisse Etwas an dir hast …«
»Danke sehr. Irritierend sind allerdings zwei Dinge: Erstens scheint hinter dem Job eine weitaus größere Verantwortung zu stecken, als ich bisher angenommen hatte …« Renate lehnte abwartend am Fensterbrett und im Gegenlicht konnte er keine Regung in ihren Gesichtszügen ausmachen. »Und zweitens scheint es interessierte Kreise in der Firma zu geben, die meine Zusage zu dem Jobangebot unbedingt sicherstellen wollen. Um jeden Preis. Diese Kreise schrecken, wie es scheint, weder vor Drohungen zurück, noch geben sie sich mir zu erkennen und legen ihre Motive offen .« Er sah sie in Erwartung ihres Kommentars zu seinen vagen Andeutungen an. Ihre Neugierde schien jedoch begrenzt zu sein.
»Weißt du«, begann sie, »so richtig stecke ich in den Details der Firma nicht mehr drin. Klar, ich habe noch einige Kontakte in den Aufsichtsrat und auch zu verschiedenen Leuten, für die ich hin und wieder Aufträge erledige. Beispielsweise habe ich erst vor kurzem einen Account Manager für die großen Staatskunden in Ostdeutschland für euch an Land gezogen. Aber ansonsten …« Glock wusste, dass sie ihr Licht unter den Scheffel stellte. Warum, wusste er nicht.
Dann gab Renate sich sichtlich einen Ruck, stieß sich vom Fensterbrett ab und kam auf ihn zu. Sie trat vor den Schreibtisch, an dem er noch immer lehnte, und nahm seine beiden Hände.
»Pass auf dich auf, Anton! Der Konzern macht eine schwierige Phase durch. Der Riss, der quer durch unsere Gesellschaft geht, macht auch vor Schuegraf nicht halt. Zwei verfeindete Fraktionen im Aufsichtsrat ringen um die künftige Ausrichtung der Firma. Eine Fraktion will um jeden Preis eine deutliche Steigerung des Unternehmenswertes erreichen. Sie wollen eine viel weitgehendere Verlagerung der Produktion nach Osteuropa und Asien durchsetzen, den Abbau von Arbeitsplätzen in der deutschen Verwaltung härter angehen und unrentable Unternehmensteile abstoßen. Der Aktienkurs würde dadurch geradezu beflügelt werden !«
»Macht Sinn. Und die andere Fraktion?«
»Nun, die, nennen wir sie mal Traditionalisten , sehen den Hauptzweck von Schuegraf nicht in der Befriedigung der Anteilseigner, sondern stellen die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens in den Vordergrund. Sie sagen, Schuegraf sei ein deutsches Unternehmen mit mehr als hundert Jahren Tradition und sollte in einer für Deutschland so schwierigen Phase alles tun, um möglichst vielen Menschen Arbeit zu geben. Das Schlagwort lautet: Lieber zehntausend deutsche Arbeitsplätze als zehn Prozent Rendite …«
»Rührend, aber unrealistisch. Wer im Aufsichtsrat gehört welcher Fraktion an ?«
Renate schüttelte ihre perfekt gelegten Haare, deren vermutlich längst vorhandenes Grau sorgsam übertüncht war, und legte den Zeigefinger auf die Lippen.
»Das weißt du besser nicht – du solltest aber bedenken, dass alle Sach- und Personalentscheidungen im Konzern derzeit von diesem Grabenkampf beeinflusst werden. Du musst aufpassen, dass du nicht zwischen die feindlichen Garnisonen gerätst !«
»Dann gib mir einen Tipp, was ich tun soll !«
Sie ließ seine Hände los, ging zurück ans Fenster, sah hinaus in die schräg stehende Sonne und antwortete mit Bestimmtheit, ohne sich zu Glock umzudrehen:
»Die Fraktion der ›Turbokapitalisten‹, so nennen ihre Gegner sie, wird natürlich gewinnen, denn die Mehrheit der Kapitaleigner und die Logik stehen auf ihrer Seite. Euer neuer Vorstandsvorsitzender, von Weizenbeck, ist ihr Mann. Und Nagelschneider ist, obwohl Finanzvorstand, auf der – vermutlich aussichtslosen – Seite der Traditionalisten und
Weitere Kostenlose Bücher