Machtrausch
nahe am Vorstand in der allmächtigen Zentrale zu zeigen, was er so alles kann. Dann soll er zügig den nächsten Schritt machen. Leiter einer Landesgesellschaft vermutlich.«
»Viele Neuigkeiten erzählst du mir nicht gerade …«, unterbrach sein Zimmergenosse und deutete ein Gähnen an.
»Ja, aber erkennst du denn die Zusammenhänge nicht: In vermutlich drei Monaten zieht Kroupa, unser allseits geschätzter Österreichchef – Habe die Ehre! – in den Vorstand ein und übernimmt dort das neue Vertriebsressort. Man munkelt überall, unsere neuen Gutsherren aus London wollten unbedingt ein drittes Vorstandsmitglied ernennen und Kroupa habe die besten Karten .«
»Das ist ein völlig blödsinniges Gerücht aus der Kaffeeküche !«
»Jaja, Herr Doktor. … Also wird in drei Monaten die Leitung der österreichischen Landesgesellschaft frei. Und die hätte Lachotta gerne! Blöd bloß, dass er zu diesem Zeitpunkt erst vor einem halben Jahr das zentrale Marketing übernommen hat. Also, was macht er? Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Er generiert einerseits einen raschen Erfolg, indem er Kompetenzen, entsprechend der heutigen Mode, aus der Zentrale in die dezentralen Abteilungen verlagert, und übertrifft gleichzeitig das Programm ›HQ Halbe‹, in dem er eben mal locker zwei Drittel seiner Leute abbaut, und – das Genialste dabei! – er reduziert damit in einem Zug sein zentrales Marketing in Größe und Bedeutung so weit, dass auch der dümmste Vorstand schnell einsehen muss, dass Lachotta für so einen Micker-Job völlig überqualifiziert ist! Verstanden? Was passiert also? Man schickt unseren guten Lachotta bereits nach einem halben Jahr im Marketing gen Wien weiter, wo er der Chef einer unserer umsatzstärksten Landesgesellschaften wird .«
»Naja«, machte Anton nach diesem atemlosen Monolog.
»Übrigens: Wusstest du, dass Lachottas Frau aus Wien kommt ?«
Zugegeben, hörte sich gar nicht so abwegig an, dachte Glock, wenngleich er sich nicht vorstellen konnte, dass man den derzeit nicht überaus erfolgreichen Kroupa demnächst in den Vorstand holen würde. War aber Erfolg im heutigen Konzernleben überhaupt noch das Hauptkriterium für raschen Aufstieg? Jedenfalls führte ihm das einmal mehr vor Augen, wie vergleichsweise naiv und ahnungslos er die Vorgänge im Unternehmen betrachtete. Schachkenntnisse halfen nur, wenn man sie auch zum strategischen Denken in der Praxis verwendete. In dieser Hinsicht konnte man von Rauch durchaus etwas lernen, der Gerüchten gerne zuhörte und noch lieber verbreitete. Für Rauch waren diese Gedanken allerdings reine Denkübung, kein Mittel zum Zweck. Er beobachtete das Leben und Streben im Konzern wie ein Forscher, der das Gewimmel in einem Wassertropfen unter dem Mikroskop studierte. Die Erkenntnisse aus diesen Feldforschungen muteten gelegentlich etwas überzogen an, trafen jedoch häufig den Nagel auf den Kopf. Anton Glock wendete sich wieder seinem Schreibtisch zu, konnte aber kein rechtes Interesse für die dort liegenden Unterlagen aufbringen.
»Sag mal Alois, warum arbeitest du eigentlich noch hier? Bestimmt verdienst du inzwischen mit deinen anderen Aktivitäten genug, um davon leben zu können, oder? !«
»Stimmt. Aber, auch wenn du es mir nicht glauben solltest: Ich genieße die Arbeit – oder sagen wir mal: Anwesenheit! – im Schuegraf-Konzern. Mehr, als du denkst!«
»Was sagen denn deine Freunde und Bekannten zu deiner Prostitution in einem Großkonzern ?« Glock hatte diesen wilden Haufen von Berufsstudenten, selbsternannten Intellektuellen und philosophierenden Lebenskünstlern einmal bei einer Party in Alois Wohngemeinschaft kennen gelernt. Es war die bislang einzige Einladung zu einem Schuegraf-Kollegen gewesen, bei der sich Barbara nicht zu Tode gelangweilt hatte. Im Gegenteil: Seine Frau hatte sich in der höhlenartigen Wohnung sehr wohl gefühlt und sprach seitdem mit Hochachtung von Antons Zimmernachbar. Den von Alois auf der Feier herumgereichten Joint hatte sie als Zeichen gewertet, dass Schuegraf keine so schlechte Firma sein konnte, wenn Querköpfe wie Rauch in der Strategieabteilung existieren konnten.
»Die darfst du nicht zu ernst nehmen, die leben in einer anderen Welt. Ich fürchte, in einer besseren, aber nicht existenten. Jedenfalls sind sie dankbar, dass ich mit meiner Prostitution den Bierkonsum der WG finanziere …« Er verkaufte eine Flasche mit moldawischem Wasser, das ob des hohen Eisengehaltes nahezu rostig aussah.
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